Alles umgekrempelt
Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es unter anderem um einen ghanaischen Nationalspieler, um einen Torwart, der sogar Dimo Wache als Backup hatte, einen aggressiven U-23-Kapitän und eine historische Leistung unter Wolfgang Frank.
9. Juni
Heute vor 78 Jahren kamen zwei spätere 05-Spieler zur Welt: Toni Burghardt und Walter Gaußmann.
Burghardt, ein hochtalentierter Verteidiger, wechselte 1962 vom VfL Leverkusen an den Bruchweg. In der Oberliga wurde er nur 15-mal eingesetzt, im zweiten Jahr in der Regionalliga war er bis zu seinem Platzverweis am 33. Spieltag als überragender Vorstopper ein unumstrittener Leistungsträger. Lange blieb der in Vértesboglár geborene Donauschwabe jedoch nicht in Mainz: Über die Regionalligisten 1. FC Pforzheim und 1. FC Saarbrücken kam er 1968 in die Bundesliga, wo er bis 1971 für den Meidericher SV 60-mal spielte. Nach seinem Karriereende bei Eintracht Bad Kreuznach arbeitete Burghardt unter anderem als Cheftrainer für Hannover 96, Tennis Borussia Berlin und Rot-Weiß Oberhausen.
Gaußmann kam erst 1965 vom 1. FC Langen nach Mainz. Der Angreifer sollte den Linksaußen Vincenz Fuchs ersetzen, der zum Meidericher SV gewechselt war, schaffte das aber zunächst ebenso wenig wie sein Konkurrent Horst Klinkhammer. Gaußmann spielte im ersten Jahr nur sechs Partien. 1966/67 war er hingegen Stammspieler, 1967/68 oft verletzt, 1968/69 wiederum Stammspieler auf dem linken Flügel. Nachdem er in seiner fünften Saison nur noch zweimal eingewechselt worden war, verließ Gaußmann die Mainzer 1970 nach 64 Regionalligaspielen und 17 Toren.
45 Jahre alt wird Otto Addo. Der in Hamburg geborene Ghanaer etablierte sich bei Hannover 96 im Profifußball und wurde 2002 mit Borussia Dortmund Deutscher Meister. Die überragende Karriere, zu der Addo das Zeug gehabt hätte, blieb ihm jedoch verwehrt: Etliche Kreuzbandrisse zerstörten ihm die Spielzeiten 2001/02 bis 2004/05. Nach der x-ten Wiedergenesung schloss sich der offensive Mittelfeldspieler vor 13 Jahren den 05ern an, für die er in eineinhalb Jahren aber nur auf 17 Bundesligaeinsätze kam, oft als Einwechselspieler.
Ein Jahr nach dem ordentlichen WM-Auftritt mit Ghana wechselte Addo zurück in seine Heimatstadt Hamburg, wo er für die Zweite Mannschaft eingeplant war, überraschend noch viermal in der Bundesliga spielte und ab 2009 zunächst als Ko-, dann als Cheftrainer die U19 trainierte. Später war Addo Kotrainer des ehemaligen 05-Coaches Kasper Hjulmand beim dänischen Erstligisten FC Nordsjaelland, danach arbeitete er für Borussia Mönchengladbach. Seit dieser Saison ist er als „Talentetrainer“ für Borussia Dortmund tätig.
Ein Jahr jünger ist Daniel Ischdonat. Der in Leverkusen geborene und bei Bayer 04 ausgebildete Torwart war bereits eine Legende bei Eintracht Trier, als er 2006 – an seinem 30. Geburtstag – einen Vertrag in Mainz bekam. Ischdonat war zunächst nur die Nummer drei am Bruchweg, stand aber in seiner zweiten Saison 31-mal im Zweitligakader und doppelt so oft im Tor wie die beiden oft und lange verletzten Konkurrenten Dimo Wache und Christian Wetklo. In zwei Spielen war Ischdonat sogar einer von extrem wenigen Torhütern, die berichten durften, Wache sei ihr Backup gewesen.
Bei seinem ersten Einsatz, einem 1:1 gegen den SC Paderborn am 4. November 2007, hielt er in der 75. Minute einen Foulelfmeter von Andrew Sinkala, den er selbst an Benjamin Schüßler verursacht hatte.
Der SV Sandhausen verpflichtete Ischdonat später eigentlich als Torwarttrainer, machte ihn aber drei Jahre lang zum Stammkeeper, der erst 2013 nach 85 Zweit-, 53 Dritt- und 205 Regionalligaspielen seine Karriere beendete. Mit einem Jahr Unterbrechung, in dem er in gleicher Funktion für Eintracht Braunschweig arbeitete, ist er nach wie vor für die Torhüter des SVS zuständig. Sein Sohn Yannik spielte in den zurückliegenden drei Saisons für die Mainzer U17 und U19 als Stürmer in der Bundesliga.
Seinen 26. Geburtstag feiern kann heute Daniel Bohl. Der gebürtige Homburger kam 2010 vom 1. FC Saarbrücken zu den 05ern, für die er von der U17 bis zur U23 und seinem Abschied sieben Jahre später Stammspieler war. Der aggressive Sechser hatte maßgeblichen Anteil am Aufstieg der Zweiten Mannschaft in die Dritte Liga und daran, dass das Team sich drei Jahre in der Klasse hielt.
Zu 61 Gelben und drei Gelb-Roten Karten in insgesamt 184 Spielen kamen einige wenige Tore, die er sich gerne für die wichtigsten Momente aufsparte. So traf Bohl Ende Mai 2014 beim Aufstiegsspiel in Neustrelitz mit einem fulminanten Distanzschuss zum 2:0-Endstand; das Rückspiel gewannen die 05er mit 3:1. Am letzten Spieltag der ersten Drittligasaison half sein Führungstreffer beim 1:1 gegen den Chemnitzer FC – wieder so ein Pfund –, dass sich die Mainzer ihrer Abstiegssorgen entledigen konnten.
2017, die Altersgrenze war überschritten, wechselte Bohl zum Halleschen FC. Über Energie Cottbus ist er inzwischen beim Chemnitzer FC angekommen.
Ebenfalls 26 Jahre alt wird Viktor Fischer, den man wohl Ex-Nationalspieler nennen muss – sein letztes Länderspiel für Dänemark bestritt er 2018. In Mainz in Erinnerung geblieben ist er durch seine beiden Tore im Pokalspiel gegen Holstein Kiel (3:2 n.V.), ansonsten kam er in der Hinrunde 2017/18 kaum zum Zug. Nur ein halbes Jahr nachdem er vom Middlesbrough FC gekommen war, zog er weiter zum FC Kopenhagen – wo er zeigte, dass er etwas kann und bisher in 61 Spielen 18-mal getroffen hat.
An Bohls und Fischers zweitem Geburtstag fand der bislang größte aller Mainzer Nichtabstiegskämpfe ein erfreuliches Ende. Nach einem verkorksten Saisoneinstieg 1995/96 unter Horst Franz lagen die 05er vom zweiten Spieltag an auf einem Abstiegsplatz, vom zwölften bis zum dreißigsten Spieltag waren sie fast durchgehend Letzter oder Vorletzter. Auch Wolfgang Frank, der im Herbst von Interimstrainer Manfred Lorenz übernommen hatte, war es noch nicht gelungen, das zu ändern.
In der dreimonatigen Winterpause aber hatte der einstige Bundesligastürmer alles umgekrempelt. Entscheidend: Er schaffte den Libero ab und installierte eine der ersten Viererketten im deutschen Profifußball. Der Rückstand zu den Nichtabstiegsplätzen schrumpfte, aber das Programm war hart: An den letzten vier Spieltagen mussten die 05er gegen die drei späteren Aufsteiger spielen. Sie schlugen Arminia Bielefeld 2:0 (es folgte ein 2:2 in Mannheim), kletterten nach einem 3:0 beim MSV Duisburg erstmals über den Strich und empfingen am letzten Spieltag den VfL Bochum vor unglaublichen 12.000 Zuschauern am erstmals seit Ewigkeiten wieder ausverkauften Bruchweg.
Hafner tanzt Pogo
Marco Weißhaupt erzielte in der siebten Minute das einzige Tor dieser Partie – an die sich eine ausgelassene Feier hinter der Haupttribüne anschloss. Klaus Hafner gab an diesem Nachmittag nicht nur einen überragenden Stadionsprecher, sondern bei der Party auf der eigens aufgebauten Bühne auch einen überragend einpeitschenden Tänzer. Tags darauf rief er bei der Mainzer Rhein-Zeitung an, um sich über die erfolgte Würdigung seiner Leistungen zu bedanken: „Super Artikel – aber was ist Pogo…?“
Pogo war auch das, was Wolfgang Frank mit seinen Spielern in der Liga veranstaltet hatte. Keine Mannschaft holte in dieser Rückrunde mehr Punkte als die 05er, nämlich 32; lediglich der Hinrunden-Vorletzte Fortuna Köln sammelte genauso viele Zähler
10. Juni
Fabian Grau wird 22 Jahre alt. Der Innenverteidiger war drei Jahre lang Bundesliga-Stammspieler bei den 05ern: 2014/15 in der U17, danach in der U19. Nach jeweils elf Einsätzen in zwei Regionalligajahren wechselt er im Sommer 2019 zum SC Norderstedt.
*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).
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