Per Tor in die Alpen
Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es um einen kantigen Postbeamten, einen langjährigen Vereinswirt und einen Meistertrainer, dessen Name auch in einer Westernserie von Bedeutung war.
6. April
Heute vor 99 Jahren kam Erich Reith zur Welt. Der große, massive, kantige Postbeamte gehörte zur ersten Nachkriegsgeneration der 05er. Als Abwehrchef oder im linken defensiven Mittelfeld, 1950/51 sogar als allerdings weiterhin defensiv denkender Halbstürmer und schließlich nach Gerd Higis Karriereende als Linksverteidiger war Reith bis 1952 ein wichtiger Leistungsträger. Erst 1953 verließ er die Oberliga im Alter von 32 Jahren nach 150 Spielen und für einen Defensivspieler dieser Zeit bemerkenswerten 14 Toren (davon allerdings acht in der Saison 1945/46, als er noch Mittelstürmer war).
Sein vorletzter Treffer, bereits Ende 1949 erzielt, brachte ihm gar eine Urlaubsreise ein: Ein Mainzer Reisebüro hatte für den ersten Torschützen im Spiel gegen den FK Pirmasens acht Tage Ferien in den Alpen ausgelobt – und als binnen zweier Minuten erst Josef Meinhardt und dann Reith die Tore zum 2:0-Sieg schossen, bezahlte der Sponsor kurzerhand beiden den Trip.
Vor 35 Jahren verstarb einer der ganz großen 05er. Otto Freitag, geboren im Mai 1897 in Berlin, war mit seinem älteren Bruder Willi und weiteren Spielern 1919 vom Mainzer Fußballpionier Hugo Ries aus der Hauptstadt an den Rhein gelockt worden und war bis zu seiner Verletzung im August 1930 als vorbildlicher Kämpfer mit überragendem Stellungsspiel ein wichtiger Leistungsträger in der Abwehr. Bereits als Aktiver übernahm der jüngere Freitag das Vereinslokal der 05er, das er jahrzehntelang führte.
Und vor genau vier Jahren starb der Mainzer Meistertrainer Bernd Hoss, der 1971 im Alter von 32 Jahren bei den 05ern Nachfolger von Erich Gehbauer wurde. Dieser hatte eigentlich mittelfristig den Bundesliga-Aufstieg angehen sollen, konnte aber als Beamter der Bundesbahndirektion Mannschaft nicht hauptamtlich betreuen. Der neue Mann, zuvor Trainer des Schwarzwälder Amateurligisten FV Ebingen, hätte die Mission zwei Jahre später beinahe erfüllt.
Hoss stand ein luxuriöser Kader zur Verfügung, der beste, den die 05er bis dahin je zusammengekauft hatten. Das Geld des neuen Sponsors Blendax ermöglichte die Verpflichtung des Bundesligastürmers Gerd Klier (HSV), der Nürnberger Willi Löhr (Manndecker/Libero) und Herbert Renner (Außenstürmer), des Bornheimer Spielmachers Gerd Schmidt, des Braunschweiger Außenstürmers Manfred Kipp, des dänischen Nationalspielers Torben Nielsen für die Defensive – zusammen mit den lokalen Größen Wolfgang Kneib und Herbert Scheller, Jürgen Janz und Jürgen Richter sowie mit Peter Scherer und Paul Göppl, der aus Ebingen mitgekommen war, bildeten die Profis ein Topteam der Regionalliga Südwest.
Im direkten Duell zur Südwestmeisterschaft
Schon 1972 war der Einzug in die Aufstiegsrunde zur Bundesliga lange in Reichweite. 1972/73 ergab sich schließlich der spannende Zweikampf mit Röchling Völklingen. Den geringen Vorsprung, den die Saarländer meist hatten, büßten sie am Saisonende ein. Im letzten Spiel, dem direkten Duell, reichte den 05ern ein Unentschieden zur Südwestmeisterschaft – für die Aufstiegsrunde hätte auch der zweite Platz genügt. Vor 18.000 Zuschauern ging Völklingen kurz vor der Pause in Führung. Die herausragende Röchling-Abwehr, die bis dahin 15-mal zu null gespielt und in den restlichen Partien erst 18 Tore kassiert hatte, hielt den Vorsprung bis in die 86. Minute. Dann glich die beste Offensive der Liga aus: Peter Scherer schoss die 05er zur Südwestmeisterschaft.
In der Aufstiegsrunde landeten die beiden Südwestteams wie immer in unterschiedlichen Gruppen. Die Völklinger hatten das Pech, Rot-Weiss Essen zum Gegner zu haben. Das Team um Willi „Ente“ Lippens wurde der Favoritenrolle vollends gerecht, die anderen vier Klubs der Gruppe 2 besaßen keine Chance. In Gruppe 1 galten die 05er neben Fortuna Köln zumindest als Mitfavorit und spielten auch so.
„Spiel weiter“, sagte Willi Löhr
Am fünften Spieltag aber ging die Schere auseinander: In einer turbulenten Partie unterlagen die Mainzer beim Hauptkonkurrenten mit 0:3. In der hitzigen Atmosphäre mit 28.000 Zuschauern in der Müngersdorfer Radrennbahn gerieten vor der Pause Herbert Scheller und der Kölner Gerd Zimmermann aneinander. „Beide sind zum Ball gegangen. Hinterher lagen beide auf der Erde. Der Schiedsrichter hat mit der Roten Karte herumhantiert und niemand wusste, was Sache war“, erzählte Willi Löhr.
Zimmermann war draußen, so viel war klar. „Und ich?“, muss Scheller seinen Kapitän gefragt haben. Löhrs Antwort: „Spiel weiter.“ Erst vor dem Anpfiff zur zweiten Hälfte merkte der Schiedsrichter, dass die Mainzer immer noch zu elft waren. Scheller flog endgültig aus dem Spiel und wurde lange gesperrt. Die Kölner stiegen auf.
1974 wollten die 05er Bernd Hoss nicht mehr. In einer etwas turbulenteren Qualifikationssaison zur neuen Zweiten Bundesliga waren sie knapp hinter Völklingen und wieder mit der besten Offensive der Liga Fünfter geworden, das reichte. Der Mann mit dem „Bonanza“-Namen aber trainierte fortan unter anderem den FK Pirmasens, Wormatia Worms, den Karlsruher SC. Mit Blau-Weiß 90 Berlin stieg er 1986 überraschend in die Bundesliga auf, wo er unter anderem den jungen Karlheinz Riedle trainierte. 1990 beendete Hoss nach 34 Erst- und 394 Zweitligaspielen seine Karriere. Am 6. April 2016 verstarb er nach langer Krankheit in Freiburg.
*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).
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