Zwei Elfer, ein Punkt
Mainz. Ein einsames Transparent hat sich am Samstagnachmittag an den Zaun der Westkurve verirrt. Erstmals in dieser Saison. Dort, wo normalerweise die Stehplatzfans des FSV Mainz 05 zu Hause sind, ist zu lesen: „Lasst endlich Taten folgen! Für uns, für euch, für Mainz!“ Ob die Verfasser dieser Aufforderung nach dem Ende des Bundesligaspiels gegen den FC Schalke 04 mit der Umsetzung zufrieden sind, ist fraglich – beim 2:2 (2:1) bleiben die Rheinhessen nicht nur unter dem Ergebnisaspekt hinter ihren Ansprüchen zurück und weiterhin Tabellenletzter. Wenn auch jetzt mit einem Punkt.
Jan-Moritz Lichte hatte unter der Woche davon gesprochen, er erwarte von beiden Mannschaften eine aggressive Herangehensweise. Davon war allerdings bei seiner Elf in der ersten Halbzeit nicht viel zu sehen. Wer auf knallhartes Pressing oder krachende Zweikämpfe im Mittelfeld gehofft hatte, wurde enttäuscht. Die Mainzer beließen es weitgehend dabei, Räume zuzustellen, auch in der eigenen Hälfte wurden sie allzu oft erst spät aktiv.
„Das war nicht geplant, sondern hat sich so entwickelt“, sagte der Trainer in der Pressekonferenz nach dem Spiel. „Schalke hat es in der ersten Phase mit den Außenverteidigern so schlau gemacht, dass wir es nicht geschafft haben, im Mittelfeld Druck draufzubekommen.“ Das führte dazu, dass die Schalker Angreifer immer wieder unbedrängt den Ball annehmen konnten, bevor ein 05er sie ernsthaft bedrängte. Das geschah meist erst in Strafraumnähe, stets mit dem Risiko, Freistöße zu produzieren – von denen einer in der 36. Minute zum 1:1 führte: Mark Uth schoss den Ball von der Sechzehnerlinie aus dem Stand in den rechten oberen Torwinkel, Robin Zentner streckte sich vergebens.
29 Elfmeter ohne Fehlschuss
Eine halbe Stunde zuvor waren die Mainzer in Führung gegangen, Daniel Brosinski verwandelte einen von Matija Nastasic an Jonathan Burkardt verursachten Foulelfmeter. Dass Schiedsrichter Patrick Ittrich den Zweikampf der beiden als Foul seines Innenverteidigers wertete, konnte Manuel Baum nur zur Hälfte nachvollziehen. „Für mich war das eine 50:50-Entscheidung“, sagte der Schalker Trainer – was immerhin 50 Prozentpunkte mehr waren als beim zweiten Strafstoß, der auf ein Laufduell zwischen Jean-Philippe Mateta und Ozan Kabak folgte, weil der türkische Abwehrspieler den linken Arm leicht ausgefahren hatte. Aber: „Das war kein Elfmeter“, monierte Baum, „eher war es ein Foul des Stürmers, der Kabak im Gesicht traf.“
Für seine heftige Kritik am Spielfeldrand handelte sich Baum eine Gelbe Karte ein, später trug er seine Anmerkungen in ruhigem Ton vor. „Bei allem Respekt vor dem Schiedsrichter, ich weiß auch, dass es ein schwieriger Job ist, aber das war heute nicht sein bester Tag. Gerade wenn man Unterstützung vom Videoassistenten hat, muss man sich schon die Frage stellen, wohin sie beim zweiten Elfmeter geschaut haben.“
Mateta stellte keine Fragen, er verwandelte den Strafstoß in der ersten Minute der Nachspielzeit souverän zum 2:1. Bemerkenswert: Es war der 29. Elfmeter hintereinander, den die Mainzer verwandelten. Vom Punkt können es die Rheinhessen wie kein anderer Bundesligist.
Lichte hadert mit vergebenen Großchancen
Die Chance zum 3:1 aber ließ Mateta unmittelbar vor der Pause ungenutzt. Leandro Barreiro eroberte den Ball im Mittelkreis von Omar Mascarell, Jonathan Burkardt zog Richtung Strafraum und spielte im passenden Moment nach rechts, wo Danny Latza mitgelaufen war. Dessen flache Hereingabe gelangte über Salif Sané zu Mateta, der jedoch aus kurzer Distanz an einer Fußabwehr von Torwart Frederik Rönnow scheiterte (45.+4).
Es war eine von drei Szenen – jeweils von Jean-Paul Boëtius eingesetzt, blieb Burkardt mit einem Heber an Rönnows Brust hängen (56.), und Mateta schlenzte den Ball nach einem Konter zwar am Keeper, aber auch am Tor vorbei (78.) –, die Jan-Moritz Lichte später zwei verpassten Punkten nachtrauern ließ. „Es ist ärgerlich, dass wir nicht gewonnen haben“, sagte er, „auch wenn die Schalker anderer Meinung sind, waren wir nahe dran.“
Gleichwohl war sein Kollege ebenfalls enttäuscht. „Wir waren näher am Sieg“, sagte Manuel Baum. Zumindest hätten seine Leute früher ausgleichen können, spätestens in der 22. Minute durch Uth sogar müssen. Weil 05-Innenverteidiger Luca Kilian ausrutschte, konnte S04-Stümer Goncalo Paciencia ungehindert bis zur Grundlinie marschieren, von wo aus er dem am Fünfmeterraumeck stehenden Uth den Ball in den Fuß spielte – doch der schoss sich mit links ans rechte Bein.
Lichte stellt System zweimal um
Eines mussten sich die Gäste nicht vorwerfen lassen: dass sie nach dem frühen Rückstand aus dem Tritt geraten wären. Stattdessen übernahmen sie die Initiative und kamen zu einigen guten Angriffen und Abschlusschancen. Wie nach einer Viertelstunde, als Burkardt zunächst gegen Kilian Ludewig an der Torauslinie zur Ecke klärte und nach dieser Ecke Moussa Niakhaté einen aus dem Gewühl heraus geschossenen Ball abwehrte, den Nastasic am langen Pfosten unkontrolliert ans Außennetz schoss. Oder zwei Minuten später, als Jeremiah St. Juste mit einer Grätsche gegen den einschussbereiten Bastian Oczipka den Ausgleich (noch) verhinderte. Und: Kurz nach dem 1:1 blieb Zentner Sieger im Duell mit Paciencia.
Lichte reagierte noch vor dem Seitenwechsel auf die Schalker Überlegenheit im Mittelfeld, stellte vom gewohnten 4-2-3-1 auf ein 4-4-2 um, in dem Burkardt als zweite Sturmspitze agierte und der zunächst als Zehner aufgebotene Edimilson Fernandes auf die rechte Seite wechselte (mit dem zweiten Durchgang, in dem die Mainzer im 4-3-3 spielten, übernahm er für den ausgewechselten Brosinski den Part des linken Verteidigers).
Siegchance kurz nach zweitem Ausgleich
Der Videobeweis bewahrte die Rheinhessen fünf Minuten nach der Pause vor einem Rückschlag: Ozan Kabak köpfte den Ball nach einer Ecke zwar ins Tor, doch aus dem Kölner Keller kam zu Recht der Hinweis, der Ball habe einen Umweg über die rechte Hand des Schalkers genommen – keine Absicht, aber damit durfte der Treffer nicht zählen. „Auch das muss man erst mal wegstecken“, sagte Manuel Baum. Das gelang seiner Mannschaft letztlich mit Mainzer Hilfe: Einen von Steven Skrzybski scharf vors Tor gepassten Ball wehrte Robin Zentner ans Bein von St. Juste, von dort sprang die Kugel in eigene Tor (82.).
Dabei hätte es nicht bleiben müssen. Hätte der eingewechselte Robin Quaison nach Doppelpass mit dem ebenfalls eingewechselten Karim Onisiwo den Ball nicht nur durch die Schnittstelle, sondern auch in den Lauf von Dong-won Ji gespielt, hätte der Südkoreaner alleine vor Rönnow gestanden. Es wäre zumindest eine Großchance zum Siegtor gewesen.
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