So blöd konnte man gar nicht sein
Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es vor allem um die Rückkehr in die Erste Liga.
24. Mai
Was dem FSV Mainz 05 am 23. Mai gelang, klappte am 24. Mai schon wieder: Heute vor elf Jahren stieg die Mannschaft schon wieder auf. Oder vielleicht doch eine Woche früher? Der zweite Bundesligaaufstieg ist nicht so einfach genau zu datieren – fragt man einen Mainzer, wann, in welchem Moment, er 2009 in die Bundesliga aufgestiegen ist, wird er es nicht wissen.
Es ist unmöglich, diese Frage zu beantworten, weil die einzig richtige Antwort die einzig falsche ist. Die einzig richtige Antwort lautet: Am 24. Mai 2009, mit Abpfiff des letzten Spieltags, als Schiedsrichter Manuel Gräfe sich am Bruchweg von einer Horde Ultras überrannt sah und die Partie gegen Rot-Weiß Oberhausen beim Stand von 4:0 beendete. Ein Punkt hätte auch gereicht. Darin liegt das Problem.
Im Grunde nämlich war es das 2:0 in Fürth am vorletzten Spieltag, das die Sache klargemacht hatte. Die Mainzer waren Zweiter, mit sieben Punkten vor dem vierten und drei vor dem Relegationsplatz, und mussten diesen Vorsprung nur noch über das Oberhausen-Spiel bringen. Das war Formsache. Zu Hause gegen RWO, mit dieser Mannschaft, das konnte man überhaupt nicht verlieren. Ausgeschlossen. Zumal Srdjan Baljak in der vierten Minute das 1:0 schoss. Das Ding noch verlieren? Nie im Leben. Zack, stand‘s 2:0. Wieder Baljak in der 17. Minute. So blöd kann man sich gar nicht mehr anstellen, um das noch aus der Hand zu geben.
Was macht man 73 Minuten lang?
Und viele 05-Fans dachten: Was machen wir jetzt noch 73 Minuten lang? Pfeif doch einfach ab, Schiri. Das interessiert doch niemanden mehr. Selbst die allerletzten Zweifler waren in der 65. Minute überzeugt, als Aristide Bancé das 3:0 drauflegte – und vier Minuten danach das 4:0. Das Publikum wurde ungeduldig.
Allen Bitten zum Trotz hielt der Q-Block es irgendwann nicht mehr aus. Die Nachspielzeit lief noch lange nicht, da turnten schon die ersten über den Zaun, bald war kein Halten mehr. Immer mehr Leute kletterten aus dem Block, bewiesen aber doch noch ein Stück Restdisziplin: Die meisten blieben hinter der Werbebande, ein paar standen schon davor, aber das Spielfeld war ziemlich lange tabu.
Was macht man mit dem angebrochenen Abend?
Trotzdem gab es einige, die damit nicht glücklich waren. Pfiffe waren zu hören, gerichtet gegen die Voreiligen, die die paar Minuten doch auch noch hätten warten können. Irgendwann rannten die ersten los. Eine Sekunde später pfiff Gräfe sicherheitshalber ab, und sofort verschwand er in der Menge. Todesangst, um kurz die Brücke nach Düsseldorf 2012 zu schlagen, hatte natürlich keiner, weder Gräfe noch die RWO-Spieler. Die Meute wollte kein Blut, sie wollte feiern. Der entscheidende Unterschied zu Düsseldorf: Ein Tor mehr oder weniger wäre auch egal gewesen.
Die Stimmung war dennoch seltsam. Zu viele wussten nicht so recht, was sie mit der Situation anfangen sollten. Eher der Form halber begaben sich auch die übrigen Zuschauer von den Tribünen auf den Rasen. Trainer Jørn Andersen, der stolze Wikinger, posierte auf dem Plexiglas-Spielertunnel, Aristide Bancé und Chadli Amri spielten ein bisschen mit einer algerischen Flagge. Die 05er waren wieder ein Bundesligist. Und mussten sich jetzt überlegen, was sie mit dem angebrochenen Abend noch anfangen würden.
Für zwei ehemalige Spieler dürfte die Entscheidung an jenem Tag nicht so schwer gewesen sein. Gerald Girrbach wurde an jenem Tag 57 Jahre alt, dieses Jahr also 68. Der Stürmer kam 1972 vom Karlsruher SC zu Mainz 05, spielte selten, schoss in acht Regionalligaspielen kein Tor, gehörte aber dennoch zur Südwestmeistermannschaft von 1973.
Im Laufe der Saison 1973/74 schloss sich Girrbach dem Regionalliga-Konkurrenten SV Alsenborn an; bei dessen 0:8-Niederlage in Mainz am dritten Spieltag war er zum letzten Mal im 05-Trikot eingewechselt worden. Mit Westfalia Herne spielte Girrbach 1975/76 in der Zweiten Bundesliga. Später wurde der Stürmer ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann.
Heute vor 53 Jahren kam Herbert Ilsanker zur Welt. Der österreichische Torhüter war in den späten 1990ern eine der tragischen Figuren der 05er: 1998 wechselte er von Austria Salzburg an den Bruchweg, zunächst als Stammtorwart anstelle des noch verletzten Dimo Wache, und als der von Ende September an wieder spielte, als dessen Ersatzmann.
Als Wache sich beim Auswärtsspiel in St. Pauli erneut schwer verletzte, konnte Ilsanker nicht übernehmen, weil Wolfgang Frank schon dreimal ausgewechselt hatte. Von der folgenden Partie gegen Energie Cottbus spielte Ilsanker nur die erste Viertelstunde, dann musste auch er mit einer schweren Verletzung aufgeben. Es blieb sein letztes Spiel als Fußballprofi. Ilsankers Sohn Stefan, seinerzeit Jugendspieler bei Mainz 05, ist heute österreichischer Nationalspieler und spielt nach viereinhalb Jahren für RB Leipzig seit Februar für Eintracht Frankfurt.
Geburtstag haben auch drei ehemalige 05er, die nicht in der Ersten Mannschaft spielten: Marco Thürer, gebürtiger Wormser, der in der Saison 1999/2000 ein Oberligaspiel bestritt, wird 41 Jahre alt. Philipp Fleischer (24 Einsätze in der U-17-Defensive des Jahres 2010/11) wird 26, Alexander Steinbach, der mal als U-19-Ersatztorwart nach München mitgenommen wurde, obwohl er noch zum U-16-Team gehörte, 20.
19 Jahre alt wird Suliman Marlon Mustapha, österreichischer Juniorennational-spieler und Torjäger der aktuellen U19 mit elf Treffern in sechzehn Saisonspielen.
*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).
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