Dankbar und realistisch
Aus dem Trainingslager des FSV Mainz 05
berichtet Peter H. Eisenhuth.
Marbella. Jonathan Burkardt konnte nichts dafür – aber sein Comeback Ende November löste bei den Fans des FSV Mainz 05, die nach Sinsheim mitgereist waren, eine geradezu messianische Begeisterung aus. Der Mainzer Block feierte den Stürmer, der seit mehr als einem Jahr kein Spiel mehr bestritten hatte, nach dem 1:1 bei der TSG Hoffenheim wie den Erlöser, und wer sich die Bilder anschaute, sah, wie sehr Burkardt dieser Zuspruch berührte.
Seine eigene Einschätzung freilich ist von Realismus geprägt, mit der ihm zugewiesenen Rolle als Hoffnungsträger geht der elfmalige Torschütze der vorvergangenen Saison nüchtern um. „Ich brauche nicht von mir zu denken, dass ich derjenige bin, der alles dreht und unser ganzes Spiel verändert“, sagt er am Mittwochnachmittag in einem Pressegespräch während des Trainingslagers in Marbella. „Ich sehe meine Aufgabe eher darin, positiven Einfluss zu nehmen und auch die Leistungen der anderen zu pushen.“
Fürs Erste sei er dankbar, wieder dabei zu sein und die Möglichkeit zu haben, seine Form wieder aufzubauen, sagt Burkardt und nimmt allzu optimistischen Erwartungen den Wind aus den Segeln: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nach dem Trainingslager nicht bei 100 Prozent bin.“
Mehr Einsatzzeit als erwartet
Eine einzige komplette Woche habe er vor dem Jahreswechsel mit der Mannschaft absolviert. Die Rückkehr in den Spielbetrieb sei zwar mit deutlich mehr Einsatzzeit erfolgt, als er selbst erwartet habe („Es ist nicht normal, nach einem Jahr 20 und 30 Minuten und dann einen Startelfeinsatz zu bekommen“), und dafür habe er sich auch bereit – „aber noch nicht 100-prozentig fit gefühlt“.
Eventuelle Zusatzschichten über Weihnachten konnte Burkardt krankheitsbedingt nicht schieben. Umso mehr werde ihm die Zeit in Andalusien inklusive des Testspiels gegen Feyenoord Rotterdam („Drei Tore zu schießen, wäre schön, setze ich mir aber nicht zum Ziel“) am Samstag helfen, wieder der Alte zu werden.
Ein Jahr und eineinhalb Wochen lagen zwischen der Knieverletzung, die der inzwischen 23-Jährige sich im November 2022 beim 1:1 gegen Eintracht Frankfurt eingehandelt hatte und dem eingangs erwähnten Spiel bei der TSG Hoffenheim. „Das ist krass“, sagt Burkardt, auf die Länge der Auszeit angesprochen. Zunächst war er konservativ behandelt, dann doch operiert worden, ein Rückschlag erforderte einen zweiten Eingriff.
„Ein Jahr Pause ist hart“
Sein Wiedereinstieg sollte ursprünglich schon im Außer-der-Reihe-Dezembertrainingslager auf Mallorca erfolgen, verschob sich wegen der OP auf Januar 2023 – doch auch in Marbella fehlte der Stürmer. Und so verhielt es sich auch mit weiteren anvisierten Terminen, bis der Verein ihn noch mal komplett aus der Belastung herausnahm. Zu keinem Zeitpunkt habe er daran gezweifelt, wieder auf den Stand vor der Verletzung zu kommen, sagt Burkardt. „Klar, es gab schwierige Tage und Momente, in denen der Kopf unten war und ich mich gefragt habe, ob das alles, was ich gerade mache, noch einen Sinn hat. Aber ich wusste immer, dass ich zurückkommen werde.“
Mit 16 Jahren war er schon einmal lange ausgefallen, damals wegen eines gerissenen Außenmeniskus', ebenfalls am linken Knie. „Daher kannte ich die Situation ein bisschen. Aber ein Jahr Pause ist hart.“
In dieser Zeit wollte Burkardt sich ausschließlich auf seinen Genesungsprozess konzentrieren. Aus diesem Grund beschied er auch Fragen des Klubs, über eine Vertragsverlängerung zu reden, abschlägig. „Ich habe aber schon Ende der vorigen Saison gesagt, dass sich niemand Gedanken darüber machen muss, weil ich selbst ein starkes Interesse an einer Verlängerung hatte.“
Vertrautes Verhältnis
Nach dem letzten Spiel vor der Winterpause, dem 1:1 in Dortmund sollte und wollte der ehemalige Kapitän der deutschen U21, mit der er im Frühjahr 2021 Europameister geworden war, den neuen Kontrakt unterzeichnen, weil er krank wurde, verschob sich der Akt auf den Neujahrstag. Laufzeit bis Sommer 2027. Für die Öffentlichkeit geschah dies überraschend, „für mich war es schon lange klar“, betont Burkardt, kein Interesse gehabt zu haben, den Bruchweg nach dem Ende der bisherigen Laufzeit in diesem Jahr zu verlassen.
„Ich bin fast zehn Jahre in Mainz, ich habe den Verein immer familiär erlebt“, begründet der Darmstädter, warum ihm die 05er zur Heimat geworden sind. „Es ist ein vertrautes Verhältnis, man bricht nicht sein Wort, ist ehrlich miteinander. Und ich fühle mich total wertgeschätzt. Den Verantwortlichen bin ich sehr dankbar dafür, wie sie mich während der Verletzungszeit behandelt haben.“
Die Unterstützung durch die Fans während der Zwangspause habe ebenfalls zu seinem Wohlgefühl beigetragen. Nicht auf Social Media, wohlgemerkt, dort ist Jonathan Burkardt nicht zu Hause. „Es waren die kleinen Dinge, der Zuspruch, wenn ich im Stadion oder beim Training zugeschaut habe“, berichtet er. Wenn ihm die Anhänger ein „Wir warten auf dich“ oder „Kurier dich aus“ zuriefen. Und ja, bestätigt er lachend, „sie haben auch Briefe geschrieben“.
Trainer kann die Situation einschätzen
Vertragsinhalte verrät der Spieler nicht. Außer, dass das Papier für die Erste und Zweite Liga gilt – „alles Weitere behalten wir für uns“. Ob andere Klubs in den vergangenen zwölf, dreizehn Monaten interessiert waren, ihn ablösefrei aus Mainz zu holen, wisse er nicht. Falls ja, habe sein Berater Thomas Kroth entsprechende Begehrlichkeiten von ihm ferngehalten. „Ich hatte ihm gesagt, dass ich keine Anfragen brauche.“
86 Bundesligaspiele hatte Jonathan Burkardt bis Mitte November 2022 bestritten. Unter Sandro Schwarz, Achim Beierlorzer, Jan-Moritz Lichte, eines unter Jan Siewert (beim 2:5 in München erzielte er eines seiner bislang 15 Tore), die allermeisten unter Bo Svensson. Dass er sein Comeback nicht mehr beim Dänen geben würde, war lange Zeit nicht abzusehen, an seiner eigenen Rolle habe sich durch den Wechsel zu Siewert jedoch nichts geändert.
„Es ist ein etwas anderer Ansatz, wir sind einen Tick fußballerischer und orientieren uns ein bisschen mehr am Gegner“, sagt Burkardt, „ansonsten ist es kein großer Unterschied.“ Siewert könne seine Situation gut einschätzen, „er hat keine allzu hohen Erwartungen an mich nach der langen Pause. Er möchte, dass ich in der Zeit, die ich gehen kann, mit vielen Tempoläufen und beim Anlaufen vorangehe, dass ich Räume schaffe und versuche, selbst mal zu treffen.“ Es müssen ja nicht gleich drei Tore in einer Partie sein.