Bundesliga | Gert Adolphi | 30.01.2022

Gürler hält dem Druck stand

Entscheidung im vorletzten Duell: Der Viertelfinal-Rückkampf des ASV Mainz beim KSV Köllerbach entwickelt sich zu einer spannenden Angelegenheit. Trotz einer 11:16-Niederlage erreichen die 88er das Halbfinale.
Ruhullah Gürlers Punkt im vorletzten Kampf machte den Mainzer Einzug ins Halbfinale perfekt.
Ruhullah Gürlers Punkt im vorletzten Kampf machte den Mainzer Einzug ins Halbfinale perfekt. | Archiv/Willwacher

Püttlingen. Als Mattenleiter Petar Stefanov das vorletzte Duell abpfiff, stürmten Sportler und Betreuer des ASV Mainz 88 auf die Matte, umarmten und beglückwünschten Ruhullah Gürler. Wie schon eine Woche zuvor hatte der 25-Jährige seinen langjährigen Trainingspartner Timo Badusch 1:0 bezwungen.

In Mainz war dies der Schlusspunkt zum 15:8-Sieg gegen den KSV Köllerbach gewesen, im Püttlinger Trimm-Treff sicherte Gürler seiner Mannschaft das Weiterkommen. „Dass Ruhulla beide Kämpfe gewinnt, war enorm wichtig für uns“, hob Trainer Davyd Bichinashvili die Leistung seines Greco-Weltergewichtlers hervor. „Man hat gesehen, dass er alles gegeben hat.“

Zum neunten Mal seit der Saison 2011/12 stehen die Mainzer im Halbfinale um die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft. Ibro Cakovic‘ abschließende technisch überhöhte Niederlage gegen Andriy Shykka, schmerzte sie nicht mehr. Zwar verloren sie den Rückkampf mit 11:16, retteten aber zwei ihrer sieben Punkte Vorsprung, die sie sich in Mombach erarbeitet hatten, ins Ziel. „Wir sind froh und zufrieden, dass wir weitergekommen sind“, sagte der sichtlich gelöste Bichinashvili nach der Begegnung. „Uns allen war klar, dass es kein Spaziergang werden würde.“

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Gefährliche Führung

Die beiden Viertelfinalbegegnungen kulminierten im Duell zwischen Gürler und Badusch. Das vorhersehbare 0:4 im folgenden Kampf schon eingerechnet, hatten die Köllerbacher ihren Rückstand bis auf einen Punkt aufgeholt. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so eng wird“, räumte Gürler ein. „Ich wusste, dass ich gewinnen muss.“

Er habe sich nicht so gut gefühlt wie in der Vorwoche, doch er verfolgte einen klaren Plan. „Ich wusste, dass ich in der ersten Runde der Obermann sein muss“, sagte er. „Denn wenn Timo noch frisch ist, ist er stark.“

Sprich: Badusch hätte im Bodenkampf zusätzliche Punkte einstreichen können. Also legte Gürler vehement los, marschierte nach vorne und ließ seinen Gegner gar nicht zur Entfaltung kommen. Der Köllerbacher kassierte die vom 88er angestrebte Passivitätsverwarnung, ließ am Boden aber nichts zu. Zur Pause führte Gürler mit 1:0 – und das war gefährlich. Denn wäre er im zweiten Abschnitt ebenfalls verwarnt worden, hätte er aufgrund der letzten Wertung zurückgelegen.

Konditioneller Vorteil

„Jetzt noch 30 Sekunden ballern“, gab die Mainzer Ecke ihrem Ringer deshalb auf den Weg in die zweite Runde. Doch es kam anders. Ruhullah Gürler blieb zwar aggressiv, war aber eine Sekunde unaufmerksam, kassierte einen Takedown und lag plötzlich 1:2 zurück. „Mit dem Publikum im Rücken ist Timo über sich hinausgewachsen“, sagte er hinterher. „Auf dem Papier ist er sowieso eine Bank.“

Badusch absolviere aber nicht mehr das gleiche umfangreiche Trainingspensum wie noch vor vier, fünf Jahren. Diesen kleinen konditionellen Vorteil wollte Gürler nutzen, allerdings reichte ihm eine zweite Verwarnung gegen den Köllerbacher jetzt nicht mehr zum Sieg. Mit vollem Körpereinsatz schob er Badusch zum Mattenrand und drängte ihn aus der Kampfzone. Erwartungsgemäß konnte der KSV-Routinier mit nachlassenden Kräften auch nicht verhindern, erneut in die Bodenlage geschickt zu werden, was Gürler den 3:2-Sieg sicherte. „Am Ende haben die paar Prozent Kraft, die ich mehr hatte, den Ausschlag gegeben.“

Mehrere Leistungsträger fehlten

Zur Spannung beigetragen hatte, dass die Mainzer nicht mit optimalen Voraussetzungen in den Rückkampf gegangen waren. Dass sie nur zwei der vier möglichen Ausländerplätze besetzten und lediglich 23 statt der erlaubten 28 Ringerpunkte ausnutzten, verriet ihre personellen Probleme. Kristupas Sleiva und Tadeusz Michalik nahmen am Grand Prix von Zagreb teil, während die Köllerbacher Etienne Kinsinger, der ebenfalls für das Turnier in Kroatien gemeldet war, vom Deutschen Ringerbund hatten loseisen können.

Auch andere Leistungsträger, beispielsweise Burhan Akbudak, suchte man in der Aufstellung der Gäste vergebens. Allerdings fielen auch bei den Saarländern in Horst Lehr und Piotr Ivanulov zwei Stammkräfte aus, beide wegen Corona. Löchrig waren beide Formationen, die größeren stopfen mussten die 88er, doch dank ihrer Variabilität gelang ihnen dies.

Fabian Pelzers Schulterniederlage zum Auftakt glichen sie durch einen technisch überlegenen Punktsieg von Beka Bujiashvili aus. „Wir hatten trotz allem eine starke Mannschaft“, konstatierte Bichinashvili. Ein enger Verlauf war allerdings vorgezeichnet.

Sever kurz vor Schultersieg

Anders als in Mainz konnten die 88er diesmal nicht immer die optimale Punktzahl herausholen. Mit dem 7:9 zur Pause lagen sie zwar im Plan, hatten aber schon zu diesem Zeitpunkt ein besseres Abschneiden verpasst. An Wladimir Remel lag das nicht; die vage Hoffnung, er könne gegen den 18 Kilo schwereren Oleksandr Khotsianivskyi im Freistil-Schwergewicht über die Zeit kommen, zerstob relativ schnell. Remel lag nach drei Minuten bereits mit 0:13 zurück. Zwar holte er sich einen Punkt zurück, doch nach 48 Sekunden im zweiten Abschnitt war das ungleiche Duell beim 17:1 für Khotsianivskyi entschieden.

Deutlich näher an einem Bonuspunkt war Etka Sever im Greco-Halbschwergewicht. Gleich mit seinem ersten Wurf brachte er Kilian Schäfer in die gefährliche Lage und war nur Zentimeter vom Schultersieg entfernt. Gerade als Mattenleiter Stefanov Blickkontakt zu seinen beiden Schiedsrichterkollegen aufnahm, um abzuklopfen, wand sich der Köllerbacher auf den Bauch. Sever aber erhöhte seine Ausbeute bis zum Schlussgong auf 12:0 und nahm die eingeplanten drei Teamzähler mit.

Müde nach Trainingslager

Im Greco-Leichtgewicht erhielt Elcin Ali den Vorzug vor Dawid Ersetic, weil der Pole seit Längerem keinen Wettkampf bestritten hatte. „In diesem Kampf durften wir nichts riskieren“, erläuterte Bichinashvili, „wir mussten auf sichere Punkte gehen. Insofern war das die richtige Entscheidung.“

Bis in die vorletzte Minute hinein lag Ali trotz Gewichts- und Kraftnachteilen gegen Kinsinger beim 1:1 in Führung, doch als er zum zweiten Mal in die Bodenlage musste, konnte er einen Durchdreher nicht verhindern. Zum knappen Sieg reichte es deshalb nicht, doch mehr als einen Mannschaftspunkt gab Ali nicht ab und erzielte ungeachtet der zeitweiligen Führung ein Wunschergebnis.

In den zweiten fünf Duellen blieben die Mainzer zunächst etwas hinter ihrer Marschroute zurück. Trotz eines Gewichtsvorteils von sechs Kilo packte Ahmed Dudarov im Freistil-Mittelgewicht nur einen Punkt aufs Mannschaftsergebnis drauf. „Ich muss Ahmed in Schutz nehmen“, sagte Bichinashvili. „Er kam direkt aus einem Trainingslager, die Müdigkeit war ihm anzusehen.“

Wolny lässt Punkt liegen

Dudarov lag gegen den geschickt verteidigenden Miroslav Kirov sogar bis kurz vor Anbruch der letzten Minute beim Stand von 1:1 zurück, holte aber mit einem Beinangriff die eminent wichtige Zweierwertung zum Sieg. Der Köllerbacher versuchte alles, den Kampf noch einmal zu drehen, doch Dudarov wehrte dank seiner Klasse die Attacken ab. Kirov war nach dem Schlussgong die Enttäuschung deutlich anzusehen. War es auch nur einer, so war es doch ein wichtiger Punkt, den die 88er einsackten.

Alexander Semisorovs Aufgabe war es, seine Niederlage gegen Mihal Sava so niedrig wie möglich zu halten. Mit dem Schlussgong aber erhöhte der Köllerbacher auf 11:2 und verbesserte die Ausgangsbasis seiner Mannschaft weiter.

Hingegen ließ Mateusz Wolny einen Punkt liegen. Zwar war er Marc-Antonio von Tugginer deutlich überlegen und bekam dreimal die Chance als Obermann in der Bodenlage, machte daraus aber zu wenig. Stets versuchte er seinen Gegner auszuheben, brachte aber keinen Wurf zustande.

Nächster Gegner: ASV Schorndorf

Immerhin gelangen ihm zweimal Durchdreher, so dass er 7:0 führte – nur eine Wertung fehlte Wolny zum dritten Mannschaftspunkt. „Roll him, roll him“, versuchten die Mainzer Betreuer vergeblich, ihn davon zu überzeugen, beim dritten Bodenkampf die Taktik zu ändern. Wolny blieb seiner Linie treu, hob von Tugginer bis zur Beckenhöhe an, musste ihn aber wieder auf die Matte legen – dieses Mal klappte es auch mit dem Durchdrehen nicht, und es blieb bei zwei Zählern fürs Teamkonto.

„Ich muss noch härter trainieren“, nahm sich Wolny selbst in die Pflicht. Er sei allerdings nicht traurig, dass er keine drei Punkte geholt habe“, sagte er am Ende des Kampfabends. „Mein Gegner war einer der besten, auf die ich bis jetzt in der Bundesliga getroffen bin.“ Möglicherweise wäre seine Gefühlslage eine andere gewesen, hätte Ruhullah Gürler im vorletzten Kampf dem auf ihm lastenden Druck nicht standgehalten, statt für das Happy End zu sorgen.

Zum Halbfinal-Hinkampf erwarten die 88er am nächsten Samstag den ASV Schorndorf, der sich trotz einer 12:16-Niederlage in Kleinostheim dank des 14:8 zu Hause durchgesetzt hat. Eine Woche spätere treten die Mainzer im Rems-Murr-Kreis an. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch diesen Gegner schlagen“, sagte Wolny. „Denn aus meiner Sicht war das heute schon ein Halbfinale.“

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