„Sehr viel Dynamik und sehr viel Bock“
Herr Burkardt, Sie sind der einzige Spieler, der während dieses Trainingslagers zu zwei Einzelinterviews ranmuss. Macht Ihnen das Spaß, oder machen Sie es aus Pflichtbewusstsein?
(Mediendirektor Tobias Sparwasser räuspert sich, Burkardt lacht) Ich bin ja nicht auf euch zugekommen… Das gehört doch dazu, ich finde das nicht so schlimm.
Was ist alles Teil des Profibusiness? Vorige Woche in Mainz waren Sie beim Fan-Talk, hier in Hopfgarten standen Sponsorenabend, Fanabend auf dem Programm…
…am Freitag folgt der VIP-Auftakt, und am Sonntag ist das Sommerfest in der Stadt. Aber dann ist es auch zu Ende.
Wie viele solcher Termine können Sie wahrnehmen, ohne dass die Konzentration aufs Kerngeschäft leidet?
Gute Frage. Ich glaube, der Verein versucht das alles in die Vorbereitung zu schieben, weil dann noch am meisten Raum für andere Termine ist. Später, gerade um die Spieltage herum, möchte man sich dann schon auf die Pflichtspiele konzentrieren. Aber ich sage immer: Das ist Teil unserer Arbeit, Mainz 05 lebt diese Fannähe. Und am Ende zahlen Sponsoren und Fans auch unsere Gehälter mit, und deshalb möchten wir ihnen natürlich etwas zurückgeben.
Ist so ein Trainingslager dann insgesamt eher stressig oder eher entspannend?
Weder noch, normal, würde ich sagen. Ein solches Interview dauert ja maximal ne halbe Stunde, und danach ist trotzdem genug Zeit, zwischen den Einheiten noch mal runterzufahren. Und ein Fanabend, an dem ich mich mit Leuten unterhalte, die ähnliche Interessen haben und für den Verein leben, ist für mich keine große Belastung. Das ist easy.
Sind Sie ein geduldiger Mensch, oder werden Sie schnell nervös, wenn Dinge nicht so laufen, wie Sie es gerne hätten?
Ich glaube, das können andere besser beurteilen, aber ich würde mich grundsätzlich eher als geduldigen Menschen einschätzen.
Auch wenn ein gesamtes Jahr vergeht, bis Sie wieder Fußball spielen können?
Ich weiß nicht, ob Geduld das richtige Wort dafür ist, weil es immer darum ging, die Situation einzuschätzen und bestmöglich damit umzugehen. Ich habe in der Zeit nie einen Termin gesetzt, an dem ich wieder spielen möchte. Natürlich war es eine anstrengende, nicht so schöne Zeit, aber eine sehr lehrreiche Zeit.
Was haben Sie gelernt?
Ich habe viel im mentalen Bereich gearbeitet und viel am Umgang mit der eigenen Erwartungshaltung, aber auch dem Umgang mit den Herausforderungen, mit denen man in einer Verletzung konfrontiert wird. Das war das Allerallerwichtigste, mental gut damit zurechtzukommen. Deswegen habe ich in der Zeit viel für mich und über mich gelernt.
War es das erste Mal, dass Sie einen Mentalcoach zu Rate gezogen haben?
Das erste Mal, dass eine engere Zusammenarbeit entstanden ist. Ich war dem Ganzen schon mal in der Jugend begegnet, auch in den U-Nationalmannschaften gab es Psychologen. Aber ich hatte noch nie engmaschig mit jemandem zusammengearbeitet.
Vor einem Jahr um diese Zeit saßen Sie in Schladming immer draußen auf der Bank…
…da habe ich viel zugeguckt und war schon froh, überhaupt mal wieder bei den Jungs sein zu können und die Stimmung aufzuschnappen. Aber es macht natürlich deutlich mehr Spaß, wenn man auch mittrainieren kann.
Als Sie im November wieder in die Bundesliga eingestiegen sind, dachten viele, nach der langen Pause würden sie irgendwann in ein Loch fallen. Das kam aber nicht, oder?
Jein. Ich muss sagen, dass mir die Winterpause sehr gut getan hat. Ich war zweimal eingewechselt worden…
…beim Comeback in Hoffenheim…
…genau, dann zu Hause gegen Freiburg. Und danach stand ich in Köln und gegen Heidenheim in der Startelf, aber danach kam schon der Punkt, an dem ich ziemlich fertig war. Auch aus der Winterpause bin ich noch nicht mit 100 Prozent herausgekommen, das hat noch gedauert. Aber das Schöne war, dass es kontinuierlich besser wurde und aufwärts gegangen ist. Das hat man nach so langen Auszeiten nicht immer.
Ihre Trefferquote nach der Winterpause war hoch: acht Tore und zwei Assists bei dreizehn Einsätzen.
Ich war sehr, sehr glücklich mit meiner Performance, mit unserer Performance in den letzten Spielen. Da hatte ich das Gefühl, dass ich körperlich wieder voll da bin, 100 Prozent geben kann und über die gesamte Distanz gehen kann. Diese letzten Wochen der Saison haben sehr viel Spaß gemacht.
Wie lange dauert es nach einer Sommerpause, wieder bei 100 Prozent zu sein?
Gegen Kiel habe ich das erste Mal wieder 60 Minuten lang gespielt, nach dem Test gegen Montpellier am Samstag will ich ein Stück weiter sein, und dann wird es hoffentlich nicht mehr allzu lange dauern.
Ihr hattet in der Schlussphase der vorigen Saison die lange Serie ohne Niederlage, aber zwischendrin drei Unentschieden hintereinander in Freiburg, gegen Köln und in Heidenheim. Kamen in der Phase noch mal Zweifel auf, dass es womöglich doch nicht zum Klassenverbleib reichen könnte?
Ja, das war schon eine Phase, in der wir gemerkt haben, dass wir nicht komplett durchflutschen, sondern in den letzten Spielen noch mal richtig arbeiten müssen. Trotzdem war mir immer bewusst, dass unsere Ausgangslage zu diesem Zeitpunkt schon so, so viel besser war als bei Bo Henriksens Amtsantritt. Deswegen habe ich auch in der schwierigen Phase immer daran geglaubt, dass wir es schaffen.
Was war Ihr erster Eindruck von Bo Henriksen, als er an Fastnachtsdienstag in die Kabine kam?
Ich habe nur das erste Gespräch und das erste Training mitgemacht, danach war ich zwei Wochen krank. Aber der erste Eindruck war positiv. Ich habe ihn so wahrgenommen, dass er viel Energie ausstrahlt. In den Tagen danach habe ich von den Kollegen gehört, dass er vor dem Spiel in der Kabine klatscht und tanzt, und dann saß ich zu Hause und habe gehofft, dass ich so schnell wie möglich selbst erleben kann. Als es so weit war, hat sich das bestätigt.
Ich nehme an, einen solchen Trainer hatten Sie vorher noch nicht.
Nee, hatte ich nicht. Es ist etwas Besonderes, aber wichtig ist, dass du dabei authentisch bist, und das ist er einfach zu 100 Prozent. Dadurch hat er es so schnell geschafft, uns den Glauben zu vermitteln, dass in der Liga für uns noch was drin ist. Das war schon eine Riesenleistung, die ist ihm sehr hoch anzurechnen.
Extrovertiertes Auftreten alleine reicht nicht, auch ein paar Inhalte gehören dazu.
Absolut.
Was ist denn in dieser Hinsicht passiert?
Ich glaube, Bo hat super schnell herausgefunden, wie wir am stärksten stehen, und eine Achse gebildet. Er hat sehr viel richtig gemacht mit seiner Personalauswahl. Mit Leandro Barreiro im zentralen Mittelfeld, indem er Dominik Kohr in die Innenverteidigung gezogen hat, Hanche-Olsen hat er gleich aufgestellt, als der aus einer Verletzung zurückkam. Und auch die Art, wie er spielen wollte hat super gepasst. Dass er eben nicht darauf gesetzt hat, sich defensiv zu stellen und das eigene Tor zu schützen, sondern dass er sofort in Richtung Mainzer DNA gegangen ist: hohes Pressing, schnelles Umschalten, direktes Spiel zum Tor.
Das war in den ersten Spielen nach der Winterpause unter Jan Siewert nicht mehr der Fall, obwohl er vorher anders gemacht hatte. Geht man als Spieler dann schon mal zum Trainer, um ihm zu sagen, dass es gerade taktisch nicht passt?
Ich habe Jan Siewert schon auch sehr geschätzt und glaube, er hatte einfach auch sehr viel Pech. Oft Pech ist zwar Unvermögen, aber in seinem Fall lief es wirklich sehr, sehr unglücklich. Er hat uns ganz oft gute Pläne an die Hand gegeben, und wir hatten sehr häufig die Möglichkeiten, ein Spiel zu ziehen, aber es sollte nicht sein. Und wenn dir das oft passiert, schwindet irgendwann der Glauben an dich selbst, deshalb will ich ihm gar keinen Vorwurf machen. Aber es hat dann nicht mehr geklappt.
Wenn man sich den aktuellen Kader anschaut, wirkt die Offensive so jung wie noch nie. Mit Nelson Weiper ist wieder dabei, Brajan Gruda, Armindo Sieb, Paul Nebel, sofern er nicht Linksverteidiger spielt, und Sie sind auch noch nicht alt. Wird das jetzt Sturm und Drang?
Wir haben in Karim Onisiwo und Jae-sung Lee auch zwei über 30-Jährige dabei. Aber ich glaube, dass die jungen Spieler sehr viel Dynamik mitbringen und sehr viel Bock haben, Gas zu geben. Da kann man eine hohe Aktivität und Intensität erwarten. Das sollte man an jedem Spieltag sehen.
Dass so viele Spieler aus dem eigenen Nachwuchs dabei sind, ist nicht gewöhnlich.
Das ist richtig cool, wer hier alles aus der eigenen Jugend kommt. Angefangen mit Robin Zentner und Stefan Bell zieht sich das durch alle Mannschaftsteile. Ich glaube, das ist erst mal eine super Sache für die Fans, weil sie genau wissen, dass wir uns mit dem identifizieren, was hier gemacht wird. Und unserem Spiel tut es ebenfalls gut, weil in Mainz von unten herauf geprägt wird, wie wir zu spielen haben, was die wichtigen Dinge im Mainzer Spiel sind.
Der Trainer hat Sie zum ersten stellvertretenden Kapitän gemacht. Was bedeutet Ihnen das?
Das bedeutet mir super viel, es ist genau das, was ich mir für diese Saison gewünscht habe. Ich will gerne noch stärker in die Verantwortung kommen, ich möchte noch mehr helfen und kommunizieren.
Was bedeutet das konkret, Silvan Widmers Vize und Mitglied des Mannschaftsrats zu sein?
Entscheidungen werden jetzt öfter mit mir besprochen. Vorher habe ich sie mitbekommen, war aber nicht nah dran. Damit verbunden ist, dass ich ein Ansprechpartner für die Spieler sein möchte, der helfen kann, wenn jemand ein Problem hat.
Dann wünsche ich sportlich und kommunikativ den größtmöglichen Erfolg.
Dankeschön.
Das Gespräch im Trainingslager des FSV Mainz 05 führte Peter H. Eisenhuth.