Bundesliga | Guido Steinacker | 29.09.2020

Hingabe mit einer taktischen Idee

Jan-Moritz Lichte hat am Bruchweg seine Position als Cheftrainer der Bundesligamannschaft des FSV Mainz 05 angetreten. Obwohl in seinen Vereinen bisher konsequent im zweiten Glied geblieben, rechnet der 40-Jährige sich Eigenschaften zu, die es ihm leichtmachen, in die neue Rolle zu wechseln.
Seine erste Ansprache auf dem Platz: Jan-Moritz Lichtes (mit Schirmkappe) Einweisung fiel mit rund zwei Minuten recht kurz aus.
Seine erste Ansprache auf dem Platz: Jan-Moritz Lichtes (mit Schirmkappe) Einweisung fiel mit rund zwei Minuten recht kurz aus. | Guido Steinacker
Während der bisherige Kotrainer zu Werke schritt, hatte Sportvorstand Rouven Schröder im Hintergrund viele Telefonate zu führen.
Während der bisherige Kotrainer zu Werke schritt, hatte Sportvorstand Rouven Schröder im Hintergrund viele Telefonate zu führen. | Guido Steinacker

Mainz. So nebenbei geht also Trainerwechsel bei einer internen Lösung. „Heute Morgen hat Rouven Schröder der Mannschaft die Situation erklärt, ich habe den Spielern gesagt, was ich in der täglichen Trainingsarbeit von ihnen erwarte und woran ich sie messen werde“, schildert Jan-Moritz Lichte seine ersten Momente als Cheftrainer der Bundesligamannschaft des FSV Mainz 05. Eher unspektakulär also diese neue Situation am Dienstagmorgen am Bruchweg, schließlich kennt man sich lange genug.

Dass das für zehn Uhr angesetzte Mannschaftstraining durch den etwas anderen Ablauf rund eine halbe Stunde später anlief als geplant, veranlasste Pressesprecherin Silke Bannick zur (scherzhaften) Klarstellung gegenüber den Journalisten vor Ort, dass nicht etwa ein neuerlicher Spielerstreik hinter dieser Verzögerung stecke. Bei der ersten Pressekonferenz mit Lichte und Sportvorstand Rouven Schröder am Mittag wurde klar, dass der Verein versucht, diese für den FSV Mainz 05 ganz schwarze vergangene Woche schnell abzuschließen und mit dem neuen Chefcoach voranzuschreiten.

„Keinem in diesem Verein passte diese vergangene Woche, das war nicht Mainz 05, das ist allen bewusst“, stellte Schröder klar. „Das hat uns alles nicht unberührt gelassen, auch dann das Stuttgart-Spiel nicht. Danach war die Enttäuschung groß – aber ich bin ein Mensch, der nach vorne geht.“ Und so profitierte Lichte persönlich von den „schwierigen Momenten, die der Verein vorige Woche erlebt hat und in denen die Ruhe verlorengegangen ist“, wie der bisherige Kotrainer die Vorkommnisse um Adam Szalai und dem Spielerausstand einordnete.

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Diesmal für reif genug befunden

Anders als noch vor zehn Monaten nach der Entlassung von Sandro Schwarz, schätzten Schröder und der Vorstand den 40-Jährigen nun für reif genug ein, um die Hauptverantwortung zu übernehmen, erstmals aus dem Schatten eines Chefcoaches herauszutreten und den Laden selbst zu schmeißen. Die wirtschaftlich schwierige Lage habe bei der Bevorzugung dieser internen Lösung „keine Rolle“ gespielt, versichert der Sportvorstand. Vor allem die Fans werden sich in diesen Tagen fragen, was diesen Jan-Moritz Lichte ausmacht, wie er als Trainer tickt und warum unter ihm alles besser werden wird als mit Achim Beierlorzer.

Dabei haben weder Lichte noch seine unveränderte Kotrainercrew viel Zeit über Perspektivisches nachzudenken. Oder auch darüber, ob der kurzfristige Wechsel tatsächlich zur Dauerlösung werden könnte – was er, wie Lichte allerdings andeutet, durchaus gerne so annehmen würde anstatt wieder freiwillig in das zweite Glied zurückzutreten. Doch schon am Freitagabend geht es bei Union Berlin (20.30 Uhr) darum, die ersten Bundesligapunkte der neuen Saison einzufahren – für den Verein für wie den neuen Chefcoach. „Ich will die Spieler so annehmen, wie sie sind und sie dazu bringen, dass sie alles hineinschmeißen und den Mitspielern zur Verfügung stellen“, schildert Lichte, zeigt aber auch auf, dass das Team sich durch sein Verhalten in der Vorwoche selbst einiges aufgebürdet hat.

Spieler haben sich selbst Druck gemacht

„Die Mannschaft hat sich selbst zuzuschreiben, dass sie nun als schwierig gilt. Den Druck haben die Spieler sich selbst gemacht und daran werden wir sie nun messen“, stellte Lichte klar. Der Weg, die sportliche Situation zu verbessern, könne auf Dauer jedoch nur die Arbeit sein. Für seinen Teil sei es wichtig zu wissen, „dass ich in meinem Staff ganz viel Qualität habe, Leute, auf die ich mich verlassen kann“. 

Als Cheftrainer muss Lichte diesen Kanal nun täglich bedienen, aber da macht er sich keine Sorgen. „Ich muss einfordern, Spieler kritisch betrachten, Einzelgespräche führen, die ich als Kotrainer so nicht führen musste - aber ich habe Charaktereigenschaften, die es mir ermöglichen, diese Aufgabe auszufüllen“, betont der 40-Jährige. Seiner Selbsteinschätzung nach „bin ich ein ganz netter Kerl, mit mir kann man gut umgehen“. So stehen die Chancen gut, dass die Kommunikation mit Vereinsführung und Team nicht zum Problem Lichtes wird, das bei Beierlorzer – inklusive einer fatalen Fehleinschätzungen seines Verhältnisses zur Mannschaft – am Ende zum Hauptthema wurde.

Als Kotrainer habe er sich immer die Frage gestellt, wie er helfen könne, die taktischen Vorgaben des Chefs umzusetzen, „das haben wir zuletzt oft nicht geschafft“. Zwar müsse eine Basis des 05-Fußballs Leidenschaft und Hingabe sein, „die ist aber immer in Verbindung zu bringen mit einer taktischen Idee“. Gefordert sei deshalb „ein taktisches Konzept, in dem die Leidenschaft und die Hingabe auch funktionieren“.

Auch wenige Tore können reichen

So könne eine falsche taktische Ausrichtung dazu führen, dass eine Mannschaft trotz allen Einsatzes in der Defensivarbeit nicht an die Bälle komme, weil die Abstände zu groß seien. Das sehe dann von außen schnell so aus, als ob die Spieler nicht alles gäben. Als Konsequenz aus dem aktuellen Bild hält Lichte es zudem für angebracht, „eine defensive Struktur zu entwickeln, die es uns ermöglicht Spiele zu gewinnen, wenn wir nur ein oder zwei Tore erzielen“.

Wenn das gemeinsame Verteidigen, „zu wissen, wenn der das tut, muss ich das tun“, funktioniere, seien auch gute Ballgewinne möglich. Dann müsse die Mannschaft aber auch wieder dahinkommen, im Umschaltspiel bessere Situationen zu schaffen, „das hat in den vergangenen Jahren nicht mehr so geklappt wie früher“. Dass Lichte daran in den kommenden Wochen mit einem sich leicht ergänzenden Kader arbeiten kann, stellte Schröder in Aussicht. Der Transfermarkt ist im Beschäftigungsfeld des Managers in den turbulenten Tages zwangsweise etwas in den Hintergrund gerückt, aber er hat das Thema im Blick, betonte er. „Das Transferfenster kann für Mainz 05 ein wichtiges Thema sein, es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass noch etwas passiert“, sagte Schröder.

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