Der Umschaltjodler
Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es um den bislang einzigen Trainer, dem der Einzug in die Gruppenphase der Europa League gelang, einen schwedischen Verteidiger und einen der wenigen Akteure, die vor und nach dem Zweiten Weltkrieg für die Mainzer aktiv waren.
12. April
Am Sonntag wird Martin Schmidt sein 53. Lebensjahr vollenden. Der Schweizer kam 2010 als U-23-Trainer zum FSV Mainz 05, stieg 2014 mit der Mannschaft in die Dritte Liga auf und wurde an Fastnacht 2015 Nachfolger von Kasper Hjulmand. Aus „Ausbilder Schmidt“ war der Cheftrainer geworden.
Und der Mann, der auch mal in der Kabine jodelte, schien auf dem besten Weg, sich in die Abfolge der Mainzer Spitzentrainer – Wolfgang Frank, Jürgen Klopp, Thomas Tuchel – einzuordnen. Nicht nur wegen seines fulminanten Einstands mit einem 3:1-Heimsieg gegen Eintracht Frankfurt vier Tage nach Amtsantritt. Am Ende der Saison kamen die 05er unter Schmidt auf fünf Siege, drei Unentschieden und fünf Niederlagen; das machte 18 Punkte aus 13 Partien. Zum Vergleich: Unter Hjulmand waren es 22 Zähler aus 21 Spielen.
Eine Saison später hätte der Schmidtsche Umschaltfußball beinahe dazu geführt, das unter Tuchel aufgestellte Rekordergebnis – fünfter Platz, 58 Punkte – zu übertreffen. Lange Zeit war der vierte Rang, die Champions-League-Qualifikation greifbar nahe, letztlich wurde es der sechste mit 50 Zählern. Damit erreichten die Mainzer immerhin erstmals für die Gruppenphase der Europa League.
Absturz in der Rückrunde
2016/17 aber erfuhr das glanzvolle Bild tiefe Kratzer. Zunächst auf europäischer Ebene durch ein verheerend anmutendes 1:6 beim RSC Anderlecht und anschließend mit einer mutlosen Herangehensweise im vorentscheidenden Auswärtsspiel gegen AS St. Etienne. Das abschließende, bedeutungslose 2:0 gegen den FK Qäbälä wollten nicht mal mehr 13.000 Zuschauer in der Arena am Europakreisel sehen.
Dass es in der Bundesliga nicht rundlief, ließ sich nach dem Zweitrundenaus im DFB-Pokal bei Greuther Fürth immer noch mit der internationalen Belastung erklären. Und mit dem wenig vorteilhaften Spielplan, der beispielsweise zwei Tage nach der Heimkehr aus Aserbeidschan ein Meisterschaftsspiel in Wolfsburg vorsah.
Doch als die Mainzer sich in der Rückrunde ganz auf die Liga konzentrieren konnten, wurde es nicht besser, sondern schlimmer: In der Tabelle erlebten sie einen dramatisch Absturz, so tief hinein in den Abstiegskampf wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Schröder erklärt Vertrauen in den Trainer
Schmidt wird von vielen Seiten angezählt, muss sich taktische Defizite und Eindimensionalität vorwerfen lassen. Nicht zu Unrecht: Aus seinem anfangs gelobten und erfolgreichen Umschaltfußball ist ein reiner, extrem defensiv orientierter Konterfußball geworden. Den Tiefpunkt der Maurerarbeit stellt das 1:2 beim FC Ingolstadt am 26. Spieltag dar: Gegen den spielerisch äußerst limitierten Tabellenvorletzten bietet der 05-Trainer acht Defensivleute auf – darunter Danny Latza auf der Zehnerposition.
Schmidt kann noch einmal umschalten: Eine Woche später zeigen die Mainzer gegen RB Leipzig zwar ein ganz anderes Gesicht und praktizieren das lange vermisste aggressive Forechecking, unterliegen aber 2:3. Nach dem 0:1 in Freiburg scheint Schmidts Entlassung besiegelt. Tatsächlich aber verkündet Sportvorstand Rouven Schröder tags darauf, der Verein vertraue dem Trainer und werde die Saison mit ihm zu Ende bringen.
Es folgen ein 1:0 gegen Hertha BSC, ein 2:2 in München (jetzt durfte auch Winterzugang Bojan Krkic regelmäßig ran, der bei den Bayern in der dritten Minuten die Führung erzielte), ein 1:2 gegen Gladbach, ein 0:0 beim HSV und das rettende 4:2 gegen die Frankfurter Eintracht nach 0:2-Rückstand. Torschützen: Jhon Cordoba (60.), Stefan Bell (62.), Yoshinori Muto (76.), Pablo de Blasis (90.+3, FE).
Stationen in Wolfsburg und Augsburg
Das 0:2 in Köln am letzten Spieltag ist egal, einen Tag später aber endet das Bilanzgespräch zwischen Schröder und Schmidt mit der Trennung vom Trainer, dessen Vertrag noch ein Jahr gelaufen wäre. Der tief enttäuschte Schweizer begibt sich auf schnellstem Weg in die heimischen Walliser Berge, kehrt aber Mitte September in die Bundesliga zurück. Seine ersten sieben Spiele mit dem VfL Wolfsburg enden Unentschieden (auch das gegen die 05er), was ihm den Spitznamen „Remy Martin“ einbringt; im Februar 2018 tritt Schmidt zurück.
Im April 2019 übernimmt er den FC Augsburg; nach dem letzten Spieltag vor der Coronapause, einem 0:2 gegen den FC Bayern, wird er entlassen.
Schmidt ist genau 21 Jahre älter als einer seiner ehemaligen Linksverteidiger, der schwedische Nationalspieler Pierre Bengtsson, der in der Winterpause 2014/15 vom FC Kopenhagen zu den 05ern wechselte. Ein Jahr lang war er relativ konkurrenzlos und damit mehr oder weniger auf seiner Abwehrseite gesetzt. Danach aber verlor er seinen Stammplatz an den geduldig aufgebauten druckvolleren französischen Sommerneuzugang Gaetan Bussmann. Bengtsson verlor auch seinen Platz im Nationalmannschaftskader, die 05er verliehen ihn früh in der Saison 2016/17 an den französischen Erstligisten SC Bastia.
Mittlerweile ist Bengtsson wieder beim FC Kopenhagen und auch Stammkraft in der schwedischen Nationalmannschaft.
An Bengtssons zweitem Geburtstag verstarb eine der wichtigsten Persönlichkeiten des FSV Mainz 05: der ehemalige Spieler, Trainer und Scout Gerd Higi. Der am 8. Februar 1919 geborene Mainzer debütierte 1936 als 17-jähriger Außenstürmer und bereitete bereits in seinem ersten Spiel, dem 3:0 im Derby beim SV Weisenau, sein erstes Tor vor.
Als einer von wenigen Vorkriegsspielern lief Higi auch in der Nachkriegs-Oberliga für die 05er auf. Bis 1951 bildete er in 115 Oberligapartien mit Jupp Amadori die Mainzer Innenverteidigung. Irgendwann in der Saison 1954/55 – der genaue Termin lässt sich nicht feststellen – wurde Gerd Higi 05-Cheftrainer, musste das Amt aber im Sommer 1957 wegen beruflicher Verpflichtungen niederlegen.
Nachdem er bis 1971 für die Jugendabteilung des 1. FC Kaiserslautern Talente gesichtet hatte, war Higi in den 1970ern für insgesamt sechs Spiele 05-Interimstrainer. Auch sein Stammklub profitierte von Higis hervorragendem Auge für junge Fußballer: 1977 standen die A-Junioren (mit Rudi Collet, Ali Oehrlein, Günther Martin, Werner Reinhard, Siggi Iser und Axel Brummer) und die B-Junioren mit dem Rechtsaußen Charly Mähn im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft.
*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).
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