Die Ostsee nebenan
Mainz. Mehr als 600 Kilometer liegen zwischen Mainz und Groß-Wittensee. In der kleinen Gemeinde im Kreis Eckernförde, mit der Ostsee in der Nachbarschaft, ist Jennifer Bender zu Hause. Und dort hat die Windsurferin vor wenigen Tagen Post aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt erhalten: Bei der Sportlerehrung der Stadt, die aus bekannten Gründen nicht stattfinden konnte, wäre Bender in der Gruppe „Aktive“ ausgezeichnet worden – für den sechsten Platz, den sie voriges Jahr bei den Raceboard-Weltmeisterschaften in Warnemünde belegt hatte.
Damals war die 24-Jährige noch für den Surf-Club Mainz aktiv, den sie aber zum Jahreswechsel verlassen hat – schweren Herzens, wie Bender sagt. „Nach fast zehn Jahren ist mir die Entscheidung nicht leichtgefallen, aber die Distanz war auf Dauer einfach zu groß.“
In Mainz gewohnt hat Jennifer Bender noch nie. „Meine Familie kommt aus der Nähe von Frankfurt, aber in Hessen haben wir keinen Verein gefunden“, erzählt die heutige Bundesligasurferin. „Beim Surf-Club Mainz sind wir dafür umso herzlicher aufgenommen worden.“ Das gute Verhältnis habe all die Jahre angehalten, trotz der räumlichen Distanz. „Mit 15 Jahren bin ich wegen des Surfens in Kiel aufs Sportinternat gegangen und lebe seitdem im Norden“, sagt Bender.
Eingeschworene Clique
Nachdem inzwischen auch ihr Partner aus Münster an die Ostsee gezogen ist, sei es deutlich einfacher, sich vor Ort sportlich zu verankern. „So können wir die Zeit effektiver nutzen, weil sich alles hier konzentriert.“ Die beiden haben sich beim Surfen kennengelernt und teilen Leidenschaft und sportlichen Ehrgeiz.
In der Saison, von Mai bis September, stehen an fast jedem Wochenende Wettkämpfe auf dem Programm – normalerweise. „Bis Anfang Juni wurde erst mal alles abgesagt“, berichtet Jenny Bender. „Das ist absolut verständlich, aber sehr schade. Bei den Regatten treffen wir immer viele Freunde, die wir über den Winter natürlich nicht gesehen haben.“
Wie das bei jenen Sportarten, die sich am Rande der öffentlichen Aufmerksamkeit bewegen, häufig der Fall ist, handelt es sich auch bei den Surfern um eine „eingeschworene Clique“. Die Fluktuation unter den Athletinnen und Athleten sei gering, zu den Wettbewerben kommen üblicherweise immer die gleichen Leute. „Auf dem Wasser sind wir Konkurrenten, aber danach sitzen wir alle beisammen und haben eine gute Zeit“, sagt Bender. Die fehlende Gemeinschaft beschäftigt sie derzeit fast mehr als die sportliche Entbehrung.
Luxuriöse Trainingsmöglichkeiten
Zwar sind in Schleswig-Holstein viele Strände gesperrt, und an den übrigen Spots tummeln sich mitunter (zu) viele Surfer gleichzeitig, die die Windfenster ausnutzen wollen. Doch ihre Wohnsituation ermöglicht es Bender, auch in Coronazeiten regelmäßig auf dem Wasser zu trainieren. „Wir haben die Ostsee quasi nebenan und einen See vor der Haustür, das ist echter Luxus.“
Improvisation ist trotzdem hier und da gefragt, denn wer den Surfsport ernsthaft betreibt, beschränkt sich nicht nur darauf, sich mit Wind und Wellen auseinanderzusetzen, sondern muss auch ab und zu mal ein Fitnessstudio von innen sehen. „Regelmäßiges Konditions- und Koordinationstraining gehören genauso dazu wie die Einheiten auf dem Wasser“, sagt Bender. Und weil der Surfsport nun einmal eher eine Randsportart ist, haben auch Bundesligafahrerinnen in der Regel kein eigenes Fitnesscenter im Keller. „Wie bei den meisten Menschen spielt sich bei uns sportlich gerade das meiste zu Hause ab – auch mal mithilfe von Alltagsgegenständen.“
Bender hofft, dass in den nächsten Monaten doch noch ein paar Veranstaltungen stattfinden, an denen sie und ihr Partner teilnehmen können. „Das ist unser Ding, unsere Leidenschaft. Wir freuen uns auf jede einzelne Regatta“, betont sie. Umso merkwürdiger sei es, wenn ein so wichtiger Teil des Lebens plötzlich wegfalle. „Es fehlt einem einfach.“ Bender weiß, dass sie damit und auch mit einer gewissen Unsicherheit im Moment nicht allein ist: „Davon ist ja gerade so gut wie jede Sportart betroffen, wir sind kein Einzelfall.“
Besondere Wertschätzung
Verantwortlich für Benders Leidenschaft ist übrigens ihr Vater, selbst ambitionierter Surfer, der sie als Zehnjährige zum ersten Mal aufs Brett gestellt hat. Die erste Regatta folgte ein Jahr später. Als „intensives Hobby“ beschreibt die 24-Jährige ihren Sport, der inzwischen seit fast 15 Jahren einen großen Teil ihres Lebens einnimmt. Über die Auszeichnung aus Mainz hat sie sich sehr gefreut: „Das ist eine schöne Geste, die ich als Extra-Wertschätzung empfinde.“
Michael Meckel, der Vorsitzende ihres ehemaligen Vereins, hat die postalischen Lorbeeren vom Surf-Club Mainz aus nach Groß-Wittensee weitergeleitet. „Mir gefällt es, dass die Sportlerehrung so viele Sportarten zusammenbringt“, sagt Jennifer Bender. „Natürlich ist für jeden der eigene Sport das Größte. Aber es ist eben für alle gleich wichtig, Erfolg und Spaß zu haben.“
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