Kalenderblätter | Christian Karn | 25.05.2020

Heaven is a Blaise on Earth

Das 05-Kalenderblatt* für den 25. Mai.
Ein Meister in der Disziplin, Bälle abzuschirmen: Blaise Nkufo.
Ein Meister in der Disziplin, Bälle abzuschirmen: Blaise Nkufo. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es unter anderem um einen ein einziges zum Aufstieg fehlendes Tor und den vielleicht besten neuzeitlichen Mittelstürmer, den die 05er je hatten.

 

25. Mai

Heute vor 17 Jahren, am 25. Mai 2003 hatte der FSV Mainz 05 am letzten Zweitligaspieltag im Fernduell mit Eintracht Frankfurt um den dritten Aufstiegsplatz genau eine Aufgabe: um ein Tor höher zu gewinnen als die Hessen.

Und die Mainzer gewannen ihr Spiel bei Eintracht Braunschweig hoch. Benjamin Auer schoss vier Tore. Die Frankfurter mühten sich derweil gegen den SSV Reutlingen ab. Zwischenstände: Nach 20 Minuten 2:0 in Braunschweig und 1:1 in Frankfurt. Zur Halbzeit 2:0 und 3:1, aber in der 61. Minute schon wieder 4:0 und 3:3. In der 80. Minute 4:1 und 3:3. Dann Abpfiff in Braunschweig. Und ungefähr in der gleichen Sekunde das 5:3 im Waldstadion.

Das hätte gereicht, bei 4:1 vs. 5:3 standen die 05er am Ende ihrer Saison auf dem dritten Rang. Das Problem: Die Frankfurter Saison war noch nicht vorbei. Und so bildeten die Mainzer Spieler, Trainer, Betreuer einen großen Kreis, Arm in Arm, auf dem Braunschweiger Rasen, hielten einander gegenseitig fest und starrten gebannt Teammanager Axel Schuster an, denn der stand in der Mitte und hatte eine Telefon-Direktverbindung nach Frankfurt – die einzige Informationsquelle an jenem Nachmittag.

Doc Gerlach sackt zusammen

Zumindest die einzige nachvollziehbare Informationsquelle, denn warum Klaus Gerlach auf einmal zusammensackte und „Nein, bitte nicht!“ schrie, einen Moment bevor der entsetzte Schuster das Telefon sinken ließ, woher der Mannschaftsarzt eine Sekunde vor Schuster vom Frankfurter 6:3 wusste, das ist eines der großen Rätsel dieses Tages. Der Teammanager seinerseits musste nur den Kopf schütteln. Die Mannschaft verstand auch so: Ein Jahr nach dem Fiasko von Köpenick wieder kein Aufstieg. Ein Tor fehlte.

Kurios: Im Hinrundenspiel gegen die Braunschweiger war beim 3:1-Sieg der Gegentreffer ebenfalls tief in der Nachspielzeit gefallen. Jürgen Klopp hatte das mit einem „Das interessiert mich überhaupt nicht“ kommentiert. Der 05-Trainer konnte nicht ahnen, was ein halbes Jahr später passieren würde.

Strutz verscheucht Kameramann

Die meisten Mainzer Akteure flohen nun in die Kabine. Einzelne blieben draußen und wollten hämischen, schadenfrohen Braunschweiger Fans an den Kragen, mussten mühsam zurückgehalten werden. Sven Christ stellte sich als einziger Spieler den Kamerateams, Präsident Harald Strutz, wie ein Häuflein Elend auf dem Rasen sitzend und einen aufdringlichen Kameramann verscheuchend, war jahrelang im Trailer der DSF-Zweitligaübertragungen zu sehen. Aber schon in der Pressekonferenz redete Jürgen Klopp seinen Verein schon wieder stark. Seinen größten Auftritt hatte der 05-Trainer aber erst tags drauf.

Die Frankfurter wiederum feierten ihren zweiten Aufstieg an einem 25. Mai. 1998 brauchten sie nur einen Punkt, um vorzeitig die Rückkehr in die Bundesliga klarzumachen, und zu Gast im Waldstadion waren: die 05er. Diese hatten mit einem Doppelschlag (Christian Hock und Peter Neustädter in der 62. und 65. Minute) das 0:2 ausgeglichen und waren drauf und dran, in Führung zu gehen, als die Eintracht-Fans kurzerhand mit einem Platzsturm im Waldstadion für den vorzeitigen Abpfiff sorgten. Einige 05 Spieler kamen nicht ohne kleinere Blessuren in die Kabine.

 

Drei 05er haben am 25. Mai Geburtstag.

74 Jahre alt wird Herward Koppenhöfer. Als erfahrener Bundesligamann mit 213 Partien für den 1. FC Kaiserslautern, den FC Bayern München (mit dem er 1971 trotz einer Roten Karte im Finale Pokalsieger und 1972 Deutscher Meister war), den VfB Stuttgart, die Offenbacher Kickers und Hertha BSC in seiner Vita kam der damals 28-jährige Verteidiger 1974 zum FSV Mainz 05. Koppenhöfer war jahrelang ein wichtiger Leistungsträge, anfangs als Linksverteidiger, nach der Lizenzrückgabe 1976 als Libero.

Erst im Sommer 1982 beendete der spielstarke Verteidiger im Alter von 38 Jahren seine Karriere; das letzte Spiel hatte er allerdings schon im Januar 1981 bestritten. Es war Koppenhöfers 185. Partie für die 05er, für die der verbissene Zweikämpfer und Dauerläufer in der Zweiten Bundesliga, der Amateurliga und der Oberliga Südwest sowie im DFB-Pokal auflief.

 

45 Jahre alt wird Blaise Nkufo, der Schweizer aus Kinshasa, der erste große 05-Torjäger im 21. Jahrhundert. Nkufo, im Kongo geboren, aber früh in die Schweiz gekommen, war 25 Jahre alt, als die 05er ihn im Winter 2000/01 vom FC Luzern verpflichteten. Der bullige Mittelstürmer war vor allem ein Meister darin, Bälle abzuschirmen; eine seiner legendärsten Szenen hatte Nkufo in Ulm, wo er sekundenlang alleine mit dem Ball zwischen vier Abwehrspielern stand, auf nachrückende Mitspieler warten musste und den Ball so lange verteidigte, bis die Kollegen da waren und er das 1:0 einleiten konnte.

Im zweiten Jahr, in dem er 14 Saisontore schoss, drei davon beim vermeintlich vorentscheidenden 4:1-Sieg gegen den direkten Aufstiegskonkurrenten Arminia Bielefeld am 31. Spieltag, war er der große Hoffnungsträger fürs Endspiel. Doch nach der Bielefeld-Partie war der „Büffel“ angeschlagen, das 1:1 in Duisburg verpasste er komplett, beim 1:1 gegen Greuther Fürth wurde er nur eingewechselt und am letzten Spieltag bei Union Berlin saß er zunächst ebenfalls nur auf der Bank. Aber als Union 1:0 führte, machte sich der Stürmer zur Einwechslung bereit und der gesamte Gästeblock war überzeugt: Nkufo kommt! Jetzt wird alles gut!

Idol bei Twente Enschede

Tatsächlich brauchte der Torjäger nur sieben Minuten für den Ausgleich – und doch wurde gar nichts gut, die Berliner gewannen 3:1, die 05er stiegen nicht auf. Und Nkufo, immer etwas sensibel, immer etwas eigenwillig, dabei intelligent, kultiviert, und im Gesamtpaket bis heute vielleicht der beste neuzeitliche 05-Mittelstürmer, wechselte in die Bundesliga zu Hannover 96. Dort scheiterte er, aber bei Twente Enschede wurde er ab 2003 zum großen Idol: Mit 114 Toren in 223 Spielen bis 2010 ist Blaise Nkufo Rekordtorjäger des Klubs. In seinem letzten Spiel gewann Twente erstmals die niederländische Meisterschaft.

Zu einer Partie reisten die „Meenzer Metzger“ an, um Nkufo mit einem Transparent zu würdigen: „Heaven is a Blaise on Earth.“

 

Neun Jahre jünger ist Christian Demirtas. Der Verteidiger aus Offenbach spielte ab 2002 für Mainz 05, erst in der U19, dann im Ober- und Regionalligateam, im Februar 2005 erstmals in der Bundesliga. Insgesamt absolvierte Demirtas bis 54 Erst- und 24 Zweitligaspiele für die 05er, außerdem sechs im DFB-Pokal und drei im Uefa-Cup. 2009 verabschiedete sich der Aramäer, wechselte über den Karlsruher SC und Carl Zeiss Jena 2012 nach Schweden zum Syrianska FC, später zum SV Wiesbaden. Vor fünf Jahren wurde Demirtas mit den Würzburger Kickers Meister der Regionalliga Bayern; in der Saison 2018/19 fungierte er als Bartosch Gauls Kotrainer in der Mainzer U23, im Sommer vorigen Jahres wechselte er in gleicher Funktion zum VfR Aalen.

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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