Kalenderblätter | Christian Karn | 28.05.2020

Der Killermichel wird 44

Das 05-Kalenderblatt* für den 28. Mai.
Neun Tore erzielte Michael Thurk in seiner ersten Zweitligasaison als Stammspieler – eines davon am 8. April 2001 gegen RW Oberhausen: den 1:0-Siegtreffer in der 90. Minute. Danach luden Trainer Jürgen Klopp und Manager Christian Heidel ihn auf ein Bier ein.
Neun Tore erzielte Michael Thurk in seiner ersten Zweitligasaison als Stammspieler – eines davon am 8. April 2001 gegen RW Oberhausen: den 1:0-Siegtreffer in der 90. Minute. Danach luden Trainer Jürgen Klopp und Manager Christian Heidel ihn auf ein Bier ein. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es vor allem um den größten Mainzer Torjäger im Profifußball und um einen Experten für extravagante Treffer.

 

28. Mai

Heute vor 109 Jahren kam Hans Kroh zur Welt. Der Allrounder – ursprünglich Außenstürmer, später womöglich nur mangels Alternativen Außenverteidiger – kam 1933 von Viktoria Urberach zu den 05ern, spielte vermutlich zunächst nur in der Reserve, setzte sich aber ab 1935 in der Ersten Mannschaft durch. In der Mainzer Krisenzeit war er wohl eine der wenigen zuverlässigen Stützen der Mannschaft. Bis 1937 spielte Kroh insgesamt 35-mal für die 05er, dabei schoss er fünf Tore. 1937 bricht die ausführliche Berichterstattung über den Verein ab, damit auch die Information über Krohs Karriere. Am 3. März 1943 kam Hans Kroh an der Ostfront ums Leben.

 

Eine der umstrittensten Figuren des FSV Mainz 05 wird heute 44 Jahre alt: Michael Thurk ist für die einen ein Held, für die anderen ein Verräter, für manche beides. Ein Denkmal mag sich der Frankfurter verdient haben durch die zwei Tore gegen sich selbst und für seinen Verein beim ersten Aufstieg in die Bundesliga, aber vielleicht eins mit Scharnier am Sockel, damit man es leichter umwerfen und wieder aufrichten kann.

Sechseinhalb Jahre lang spielte der „Killermichel“ am Bruchweg, unterbrochen von einem halben Jahr in Cottbus. Thurk kam als bereits 23-jähriger Amateurkicker vom hessischen Verbandsligisten SV Jügesheim und ging mit 30 Jahren zu seinem Herzensklub, wie er sagte, zum Erstligaverein seiner Heimatstadt, Eintracht Frankfurt. Eine lebende Legende im 05-Team war er damals schon, und die Legendenbildung ging los mit seinem ersten Treffer: 1999/00, in seiner ersten Mainzer Saison, wurde er nur sporadisch eingewechselt, traf in der Liga noch überhaupt nicht, dafür aber im DFB-Pokal gegen Hertha BSC. Das Tor des kleinen, schmalen Renners war das 1:1 und machte die dramatische Verlängerung, in der neun Mainzer elf Berliner aus dem Pokal warfen, erst möglich.

Im zweiten Jahr war Thurk Stammspieler, zeigte aber schon eine Eigenschaft, die er erst im letzten Jahr als Mainzer ablegte: Er schoss viele Tore, aber nicht gleichmäßig über die Saison verteilt. Es gab Phasen mit vielen, aber auch lange Serien ohne Treffer, in denen er als Pressingmaschine, als ekliger Gegenspieler, auch als Provokateur trotzdem seinen Wert hatte. Fünf Tore in vier Wochen waren mitentscheidend für den Nichtabstieg 2001, nur eines in den letzten fünf Spielen nicht der entscheidende, aber sicherlich ein Faktor für den Nichtaufstieg 2002.

Todunglücklich im Aufstiegsjubel

Die Saison 2003/04 war das erfolgreichste Mainzer Jahr des Torjägers. 13-mal traf der Stürmer, zehnmal in der Hinrunde, in der Rückrunde lange nicht. Worauf der Verein kurz vor Saisonende verkündete, seinen Vertrag nicht zu verlängern. Thurk unterschrieb bei Energie Cottbus unterschrieb, als die 05er den Aufstieg abgehakt hatten, und bekam auf einmal ein ganz persönliches Problem: Sein Noch-Klub war plötzlich wieder ein Aufstiegskandidat, sein künftiger aber auch – und nur einer konnte es schaffen. Thurk löste das Dilemma mit drei entscheidenden Toren. Eins gegen Unterhaching, zwei im letzten Spiel gegen Eintracht Trier, alle drei für seinen alten Verein. Nach dem letzten Abpfiff war Thurk als einziger 05er inmitten des Aufstiegsjubels todunglücklich, wollte nicht nach Cottbus, musste aber.

Dort wurde er nicht glücklich. Auch wegen einer fürchterlichen Verletzung – nach einem Allerweltsfoul fiel Thurk mit dem Gesicht aufs Knie des unbeteiligten Gegenspielers Claus Grzeskowiak, biss diesem eine Sehne durch (Karriereende), und zwei seiner Zähne blieben in Grzeskowiaks Knie stecken. Im Winter holten die 05er den unter Zahn- und Heimweh leidenden Angreifer zurück. Einen Teil der Ablöse hätte er selbst zahlen sollen, aber nach sechs Rückrundentoren und dem Nichtabstieg im ersten Bundesligajahr übernahmen die 05er seinen Anteil.

Knatsch in der Fahrgemeinschaft

Thurk entwickelte sich zum Bundesliga-Torjäger, wurde von Jürgen Klopp nach zwei Treffern gegen Borussia Mönchengladbach flapsig für die WM ins Gespräch gebracht, und vielleicht war das nicht geschickt, sondern der Auslöser zum Streit zwischen den beiden Hälften der einstigen Fahrgemeinschaft, die täglich zusammen aus Frankfurt nach Mainz pendelte. Thurk fühlte sich von Klopp nicht hinreichend wertgeschätzt, sah außerdem die Chance, noch einmal für die gerade wieder aufgestiegene Eintracht zu spielen, und mobbte sich während des Trainingslagers aus seinem Vertrag. Später bezeichnete er dies als den einzigen Fehler in einer Karriere.

Bei der Eintracht scheiterte Thurk letztlich. Als Stürmer des FC Augsburg wurde er hingegen noch einmal ein Volksheld, Zweitliga-Torschützenkönig und Bundesligaaufsteiger. Mit dem 1. FC Heidenheim stieg er als 38-Jähriger noch in die Zweite Liga auf. Zu Beginn der laufenden Saison stieß er als Offensivtrainer und Gegnerbeobachter zum Trainerteam von Sandro Schwarz; nach dessen Entlassung wurde er von seinen Aufgaben entbunden.

Ungeachtet dessen ist Michael Thurk mit 64 Toren in 202 Spielen in beiden Bundesligen, DFB- und Europapokal heute noch der größte Mainzer Torjäger im Profifußball.

 

Exakt zehn Jahre jünger ist Sami Allagui, der ebenfalls zur Legende hätte werden können. Der in Belgien zum Profi ausgebildete Deutsch-Tunesier aus Düsseldorf kam 2010 über Carl Zeiss Jena und die SpVgg Greuther Fürth zu den 05ern. Im ersten Jahr schoss er schon zehn Tore, größtenteils spektakuläre, elegante Kunstwerke: Allagui zog im Zweifel den Heber dem Schuss gegen die Laufrichtung vor und verfügte über die nötige Technik.

Sein Tor des Monats beim Auswärtssieg gegen die Bayern erzielte er mit der Hacke, und in Gladbach schickte er nach einer sagenhaften 70-Meter-Flanke von Christian Fuchs den Ball erst senkrecht in die Luft, um den Torwart darunter durchlaufen zu lassen, ehe er ihn mit dem Kopf, bedrängt von zwei Verteidigern, ins Herz der ins Tornetz eingearbeiteten Borussia-Raute bugsierte.

In der Rückrunde seines zweiten Jahres in Mainz spielte Allagui aber schon keine große Rolle mehr. Mit Hertha BSC stieg er darauf in die Bundesliga auf. Im Sommer 2014 holten die 05er ihn als Leihspieler zurück, durchzusetzen vermochte er sich nicht mehr. Verletzungsbedingt spielte Allagui nach seiner Rückkehr zur Hertha erst mal keine Rolle mehr, 2015/16 war er kein einziges Mal dabei. Nach 14 Einsätzen in den diversen Wettbewerben der Saison 2016/17 wechselt er zum FC St. Pauli, zwei Jahre später zu Royal Excel Mouscron – jenem belgischen Klub, für den vorige Saison auch Taiwo Awoniyi als Leihgabe aus Liverpool spielte.

 

Seinen ersten Geburtstag als 05er feiert heute Dong-won Ji. Im Sommer vorigen Jahres aus Augsburg gekommen, verletzte sich der Offensivallrounder im zweiten Testspiel der Saisonvorbereitung gegen die Sportfreunde Eisbachtal schwer und konnte erst in der Winterpause wieder richtig ins Mannschaftstraining einsteigen. Erstmals in der Bundesliga durfte der Südkoreaner für die Mainzer zum Auftakt der Geisterspiele ran; beim 2:2 in Köln stand er in der Anfangsformation. Heute wird Ji 29 Jahre alt.

 

Jurij Krause wird 36 Jahre alt. Der Defensivmann war im Oberligajahr 2007/08 und anschließend zwei Jahre lang in der Regionalliga ein Führungsspieler der Mainzer U23. In 89 Spielen für die U23 schoss er zwei Tore.

Mittelfeldspieler Frederic Brill, der von 2010 bis 2012 in der U19 und der U23 der 05er wichtig war, seitdem für den FSV Frankfurt, Fortuna Köln, Waldhof Mannheim und Hessen Kassel mehr als 140 weitere Regionalligaspiele absolvierte, wird 28 Jahre alt.

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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