Kalenderblätter | Christian Karn | 11.06.2020

Umfunktionierte Verteidiger

Das 05-Kalenderblatt* für den 11. und 12. Juni.
Florian Heller (l.) und Miroslav Karhan (r.) feiern Tim Hoogland. Der hat gerade das 1:0 gegen Bayer Leverkusen erzielt, das erste Mainzer Bundesligator nach dem Wiederaufstieg und das erste unter Thomas Tuchel. Endstand: 2:2.
Florian Heller (l.) und Miroslav Karhan (r.) feiern Tim Hoogland. Der hat gerade das 1:0 gegen Bayer Leverkusen erzielt, das erste Mainzer Bundesligator nach dem Wiederaufstieg und das erste unter Thomas Tuchel. Endstand: 2:2. | Bernd Eßling

Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es vor allem um einen Mann, der unter Thomas Tuchel zum Außenstürmer wurde, und um ein Neuntorespiel in Niedersachsen.

 

11. Juni

Tim Hoogland wird heute 35 Jahre alt. Der Rechtsverteidiger und gelegentliche Rechtsaußen war im Jahr nach dem zweiten Bundesligaaufstieg des FSV Mainz 05 kommissarischer Kapitän: Weil Torwart Dimo Wache sich in der Vorbereitung verletzt hatte (und nie wieder für die 05er spielen sollte), trug Hoogland die Armbinde – allerdings auch nur, bis er sich Anfang Februar ebenfalls verletzte und von einem gescheiterten Comebackversuch mit zwei Einwechslungen abgesehen nicht mehr zurückkam.

Die 05er hatten Hoogland nach dem Abstieg 2007 vom FC Schalke 04 verpflichtet. Der damals 22-Jährige wurde sofort Stammspieler, war offensiv vielleicht der beste Rechtsverteidiger der Liga, defensiv aber bisweilen ein bisschen angreifbar, weswegen Thomas Tuchel ihn in der Bundesliga fast ausschließlich als Außenstürmer aufstellte.

Zweimal zurück nach Schalke

Nach 63 Zweitliga- und 21 Bundesligaspielen (mit acht beziehungsweise sechs Toren) wechselte Hoogland 2010 zurück zu Schalke. Die Verletzung stellte sich jedoch als so schwerwiegend heraus, dass er im ersten Jahr gar nicht, im zweiten nur dreimal und in der folgenden Saison für den VfB Stuttgart nur viermal in der Bundesliga eingesetzt wurde. Erst nach der neuerlichen Rückkehr nach Schalke fand Hoogland wieder in einen gewissen Rhythmus, in der Rückrunde war er Stammspieler.

Doch auch diesmal blieb der Verteidiger nicht lange in Gelsenkirchen: Die Saison 2014/15 bestritt er in der zweiten englischen Liga beim Fulham FC, es folgten vier Jahre (als Innenverteidiger) beim VfL Bochum. 118-mal war er noch in der Zweiten Liga im Einsatz, bevor er im Sommer vorigen Jahres zum australischen Klub Melbourne Victory wechselte.

 

An Hooglands zwölftem Geburtstag, dem 11. Juni 1997, beendete die Zweite Bundesliga ihre 23. Saison mit einem Spitzenspiel: VfL Wolfsburg – FSV Mainz 05. Kurioserweise an einem Mittwoch. Ein paar Tage zuvor hatten die 05er mit einem 2:0 gegen Fortuna Köln vor unfassbaren 10.217 Zuschauern am Bruchweg den Tisch gedeckt, waren Tabellenvierter und mussten nur noch einmal gewinnen, um 24 Jahre nach dem ersten erfolglosen Anlauf in die Bundesliga aufzusteigen. Und sie waren nicht einmal auf Schützenhilfe angewiesen, denn der Klub, den sie überholen mussten, waren die Wolfsburger.

Überraschend? Mitnichten. Der größte Abstiegskampf von allen hatte ein Jahr zuvor gezeigt, wozu die Mainzer fähig waren. In der neuen Saison hatte die Mannschaft einfach weiter gewonnen: Die erste Niederlage gab es zwar gleich am ersten Spieltag (0:1 bei Hertha BSC), die zweite erst am elften (4:5 in Meppen), als die halbe Mannschaft die Grippe hatte. Zu Hause unterlagen die 05er nur den Berlinern.

Doch im Winter war auf einmal der Trainer weg. Drei Wochen Trainingslager auf Zypern hatten eher geschadet als genutzt. Nach zwei Niederlagen zum Rückrundenauftakt schottete Trainer Wolfgang Frank sich von allem ab und trat einen Tag später zurück. Reinhard Saftig, Ex-Trainer von Bochum, Leverkusen, Hannover, Galatasaray, übernahm – und war überfordert: Saftig kannte die Zweite Liga nicht, die Stimmung in der Mannschaft kippte, aber das schien kein Problem zu sein. Das Team war stark genug, um keinen guten Trainer zu brauchen.

Dann kam Roy Präger

Nun also das Endspiel in Wolfsburg, das, nebenbei bemerkt, rund 10.000 Fans vor eine Großleinwand im Mainzer Volkspark lockte. Siebte Minute: 1:0 für die 05er. Sven Demandt. Aber dann kam Roy Präger. „Einer, der vorher nie etwas getroffen hat", sagte Demandt Jahre später. Stimmte nicht ganz, aber sechs Saisontore waren bis dahin persönlicher Bestwert für Präger. An diesem Tag aber schoss er das 1:1 und das 2:1, dann fiel er im Strafraum um. „Ich hatte immer das Gefühl, dass wir dort nicht fair behandelt worden sind“, darauf bestand 05-Kapitän Lars Schmidt noch jahrelang. „Wir haben zwei unrechtmäßige Elfmeter kassiert.“

Erst den zum 3:1. Diesen Spielstand glichen Jürgen Klopp und Abdul Ouakili aus. Dann gab es den nächsten Elfmeter für den VfL, wieder war Präger gefallen, 4:3. Demandt sah es nicht ganz so extrem wie Schmidt: „Glasklare Elfmeter waren es nicht. Einen musste man nicht unbedingt geben. Aber es nutzt ja nichts….“ Die Gastgeber erhöhten auf 5:3, Demandt traf erst in der 88. Minute zum 5:4, zu spät, um noch eine Wende einzuleiten.

Ungerechtfertigter Ruf

Der entscheidende Fehler war einer des Trainers: den langen Steffen Herzberger gegen den kleinen Präger auf die linke Abwehrseite zu stellen. „Herze“, als junger Profi ein ungeheuer offensivstarker Manndecker, war gegen den wuseligen Angreifer überfordert, Präger spielte ihm Knoten in die Beine. Beim ersten Elfmeter sah Herzberger Gelb. „Nur eine Frage der Zeit, bis er vom Platz fliegt“, sagte Demandt im Rückblick. Das merkte irgendwann auch Saftig, der Herzberger noch vor der Halbzeit auswechseln wollte.

Der Ersatzmann stand bereit, aber es war zu spät: Herzberger sah Gelb-Rot in der 42. Minute. Und es ist eine der Ungerechtigkeiten des Fußballs, dass Steffen Herzberger, der seine Karriere Jahre später nach fast 300 Profispielen und als elftbester Zweitligatorschütze der 05er (allein neun Treffer in der langen Saison 1992/93) beendete, den Ruf des Verlierers von Wolfsburg nie mehr loswurde.

 

Eine fette, aber bedeutungslose Klatsche hatten die Mainzer acht Jahre zuvor kassiert: Das 0:7 beim SV Darmstadt 98 am 11. Juni 1989 war das erste Spiel nach dem feststehendem direkten Wiederabstieg aus der Zweiten Liga. Torschütze zum 3:0, 4:0 und 7:0 sowie Vorbereiter des 2:0 war der spätere 05-Ko- und Jugendtrainer Michael Blättel.

 

Außerdem wird Nico Pantano, bis Ende 2009 Juniorenspieler am Bruchweg, anschließend Regionalligaspieler in Worms und Kaiserslautern, mittlerweile zurück in seiner Heimatstadt bei Arminia Ludwigshafen, 28 Jahre alt.

 

12. Juni

1976 verloren die 05er am 12. Juni beim FC Homburg ihr letztes Zweitligaspiel vor der Lizenzrückgabe mit 1:7; Erwin Hohenwarter traf zum 1:6. Weiter ist an diesem Datum nichts von Belang in den 05-Annalen verzeichnet.

 

*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).

 

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