„Alles, was ich kann...“
Mainz. Die 05-Kalenderblätter* waren ein fester Bestandteil der „nullfünf-Mixed-Zone“, die von August 2014 bis Oktober 2017 über den Mainzer Bundesligisten berichtete. Sie griffen Jubiläen, Besonderheiten und Ergebnisse an den jeweiligen Tagen auf. Heute geht es um den Trainer mit der längsten Amtszeit, einen seiner revolutionären Vorgänger, einen Zweitligaaufstieg und einen beinahe erfolgten Lizenzentzug.
16. Juni
Eine der wichtigsten Figuren in der Historie des FSV Mainz 05 wird heute 53 Jahre alt. 18 davon spielte er die eine oder andere Hauptrolle am Bruchweg. Die Rede ist von Jürgen Klopp.
Als junger Stürmer scheiterte der Schwarzwälder 1990 mit Rot-Weiß Frankfurt in der Aufstiegsrunde zur Zweiten Bundesliga an den 05ern, zu denen er kurz darauf wechselte, weil Aufstiegstrainer Robert Jung noch einen kopfballstarken Offensivmann wollte. Ein Angreifer blieb Klopp jedoch nicht lange, trotz seiner vier Tore beim 5:0 in Erfurt in der Saison 1991/92.
Ziemlich schnell sortierten ihn die diversen 05-Trainer immer weiter nach hinten; den Großteil seiner langen Spielerkarriere war Klopp ein dynamischer, kopfballstarker und durchaus torgefährlicher Rechtsverteidiger, der seine aktive Laufbahn nach knapp elf Jahren mit 325 Zweitligaspielen (05-Vereinsrekord in dieser Liga) und 52 Toren (bei den 05ern in der Zweiten Liga nur von Sven Demandt übertroffen) beendete.
Das geschah Anfang 2001 sehr überraschend. Zwar hatten die Trainer René Vandereycken und Eckhart Krautzun nicht mehr den allergrößten Wert auf den längst etwas morsch gewordenen Klopp gelegt, aber man war davon ausgegangen, dass er zumindest die Saison zu Ende spielen würde. Stattdessen beförderte Manager Christian Heidel den Routinier an Fastnacht nach Krautzuns Entlassung kurzerhand zum Interimscoach und nach zwei Siegen in zwei Spielen zum Cheftrainer.
Werbefigur und TV-Fußballexperte
In dieser Rolle wurde Klopp schnell auch außerhalb der Stadtgrenzen populär: Im ersten halben Jahr hielt er die 05er souverän in Liga. 2001/02 brach er mit seiner Mannschaft etliche Zweitligarekorde, verpasste aber den Aufstieg knapp und 2003 noch knapper. 2004 kamen die Mainzer endlich in der Bundesliga an und benahmen sich trotz einer Serie von neun Spielen ohne Sieg im Winter überhaupt nicht wie ein klassischer Abstiegskandidat.
Klopp wurde parallel zu seinem Trainerjob bald eine umschwärmte Werbefigur und Fernseh-Fußballexperte. Nachdem er im dritten Bundesligajahr den Verlust einiger Stammspieler nicht kompensieren konnte, stieg er mit den 05ern ab. Über die folgende Saison hinaus wäre er nur im Fall des direkten Wiederaufstiegs geblieben. Den verpassten die 05er. Mit den Worten „Alles, was ich kann, alles, was ich bin, habt Ihr mich werden lassen“ verabschiedete sich der große Volksredner und Mainzer Volksheld von mehreren Tausend , meist weinendenden, zumindest aber schluchzenden Fans vor dem Theater.
Auch bei Borussia Dortmund brauchte Klopp ein paar Jahre, um seine Serie des Scheiterns am letzten Spieltag loszuwerden: Den Uefa-Pokal verpasste der BVB knapp, die Champions League verpasste er knapp – doch 2011 und 2012 wurde das Team zweimal Deutscher Meister und einmal DFB-Pokalsieger, 2013 stand es im Champions-League-Finale. Die Saison 2014/15 lief für den BVB lange katastrophal; dass Klopp nach sieben Jahren in Dortmund darum bat, in der Sommerpause aus seinem Vertrag entlassen zu werden, war keine riesengroße Überraschung.
Champions-League-Sieger und demnächst Meister
Bei etlichen Vereinen im großen bis riesengroßen Fußball wurde Klopp schnell mehr oder weniger ernstzunehmend ins Gespräch gebracht. Nicht bereits zur (damals) neuen Saison, aber doch früher als erwartet, nämlich Anfang Oktober 2015, stieg er beim FC Liverpool ein. Der hatte unter Brendan Rodgers seinen Saisonstart nicht völlig vermasselt, aber im Spätsommer und frühen Herbst zu viele 1:0-Führungen nicht verteidigt. Klopp übernahm die „Reds“ auf dem zehnten Tabellenplatz, hatte keine leichte Saison, viele Verletzungsprobleme, ein nicht allzu klug zusammengestelltes Team, machte im Saisonverlauf immerhin zwei Plätze gut und führte Liverpool ins Europa-League-Finale, das er gegen den Seriensieger Sevilla FC 1:3 verlor.
Nicht anders sollte es ihm 2018 im Endspiel der Champions League mit dem 1:3 gegen Real Madrid gehen. In der Saison 2018/19 verlor Klopp in der Premier League nur ein einziges Spiel, bei Manchester City, was dem Gegner letztlich zum Titel verhalf und den FC Liverpool trotz sagenhafter 97 Punkte nur Vizemeister werden ließ. International aber gelang diesmal der Coup: Das Champions-League-Finale gegen Tottenham Hotspur ging mit 2:0 an die „Reds“. Und in der laufenden Saison, die nach der Coronapause am Wochenende fortgesetzt wird, steht Klopps Mannschaft kurz vor dem Gewinn der Meisterschaft – erstmals nach 30 Jahren.
In Mainz und Dortmund ist Jürgen Klopp der Trainer mit der längsten Amtszeit. In Liverpool wird er den Rekord nicht so schnell brechen: In jüngerer Vergangenheit stehen noch Gérard Houiller und Rafa Benítez (jeweils sechs Jahre) vorne. Bill Shankley war von 1959 an für 15 Jahre im Amt. Und Tom Watson amtierte 19 Jahre lang ab 1896.
Obwohl aber Klopp als ewiger 05er gilt, war sein 21. Geburtstag kein doppelter Feiertag für ihn: Dass die 05er an diesem Tag zwölf Jahre nach dem Lizenzverzicht die Rückkehr in die Zweite Bundesliga klarmachten, dürfte den damaligen Stürmer der Eintracht Frankfurt Amateure nicht allzu sehr interessiert haben.
Der FV Weinheim war an jenem 16. Juni 1988 Gast am Bruchweg, die Mainzer gewannen vor offiziell 9000, tatsächlich wahrscheinlich weit mehr als 10.000 Zuschauern mit 2:0. Nach Michael Müllers Führungstor in der 33. Minute war der Erfolg lange gefährdet; Patrick Mohr beseitigte in der 88. Minute die letzten Zweifel am Aufstieg. Aber auch sonst wäre die Rückkehr in den Profifußball wohl nur Formsache gewesen; es war erst der vorletzte Spieltag der Aufstiegsrunde.
Drei Jahre später gewannen die 05er am letzten Zweitligaspieltag 3:2 bei Preußen Münster. Klopp bereitete Michael Schuhmachers 1:1 vor, Olaf Kirns erzielte das 2:1, Norbert Hönnscheidt traf zum Endstand. Die Partie hatte ein kurioses Nachspiel: Wegen einer bemerkenswerten Naivität, was die schriftliche Fixierung von Sponsorenvereinbarungen betraf, verweigerte der DFB den Mainzern die Lizenz für die kommende Zweitligasaison. Erst als der Verein auf die Schnelle aus mündlichen Abmachungen schriftliche Verträge machte und diese nachreichte, ließ der Verband ihn im Profifußball weiterspielen. Hätte das Urteil Bestand gehabt, wäre anstelle der 05er zweitklassig geblieben: Preußen Münster.
Der Geburtstag eines großen Trainers ist jedoch auch der Todestag eines anderen: Josip Kuze verstarb heute vor sieben Jahren im Alter von 60 Jahren in Zagreb. Der Kroate war von Sommer 1992 bis Herbst 1994 Chefcoach der 05er.
In der Chronologie war Kuze nur der indirekte Vorgänger von Wolfgang Frank, von der Bedeutung her hätte er sein unmittelbarer Vorgänger sein müssen. Der langjährige Verteidiger von Dinamo Zagreb (384 Spiele und 14 Tore von 1971 bis 1981) machte schon 1991/92 bei Rot-Weiß Erfurt auf sich aufmerksam: Der Auftakt der Thüringer in ihrer ersten Saison im gesamtdeutschen Fußball missriet dermaßen, dass der Abstieg früh fest stand, aber was die Erfurter in der zweiten Saisonhälfte spielten, war so beeindruckend, dass die 05er Kuze frühzeitig als Nachfolger für Robert Jung anheuerten.
Disziplin war Nebensache
Kuze war ein großer Taktiker, zu dieser Zeit mit Sicherheit ein Revolutionär. Legendär waren seine Taktikspiele am Kaffeetisch mit Milchdöschen, Zuckerwürfeln und allem, was gerade zur Hand war. Bereits 1992 wollte Kurze die Viererkette einführen, zog es aber nicht durch. Letztlich spielten die 05er weiterhin mit Libero und Manndeckern, hatten aber schon ein paar Raumdeckungselemente in ihrem Spiel. Das hielt die Mannschaft gut über Wasser; im Abstiegskampf, in dem man sie hätte erwarten können, war sie nie.
Große Disziplin forderte der hochintelligente studierte Jurist nie ein. Seine Spieler durften sich Dinge erlauben, die heute unvorstellbar wären und auch damals schon außerhalb des Normalen lagen. In Mainz hätte Kuze länger bleiben können, er selbst sagte allerdings, es habe zu viele Kroaten in der Stadt gegeben. Kuze, wie sein legendärer Libero Vlado Kasalo ein Zocker, hatte schließlich hohe Wettschulden und war für den Verein nicht mehr tragbar.
Neben mehreren kroatischen Vereinen trainierte Kuze in den folgenden Jahren Gamba Osaka, die Nationalmannschaften von Ruanda und Albanien und kurzzeitig den Chemnitzer FC.
*Mit freundlicher Genehmigung von Jörg Schneider (nullfünf-Mixed-Zone).
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