Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 01.10.2020

Defensive im Blick, Team in der Pflicht

Ohne Ridle Baku, der vehement auf einen Wechsel gedrängt hatte, und ohne den gesperrten Moussa Niakhaté geht der FSV Mainz 05 das Spiel bei Union Berlin am Freitagabend an. Unter dem neuen Cheftrainer Jan-Moritz Lichte muss die Mannschaft beweisen, dass mehr in ihr steckt als zuletzt gezeigt. Wenn das Team in der Alten Försterei so geschlossen auftritt wie beim Streik in der vorigen Woche, ist die Basis für einen Erfolg gelegt.
Jeremiah St. Juste (r.) wird am Freitagabend den Chef einer Mainzer Abwehr geben, der Ridle Baku (l.) nicht mehr angehört.
Jeremiah St. Juste (r.) wird am Freitagabend den Chef einer Mainzer Abwehr geben, der Ridle Baku (l.) nicht mehr angehört. | René Vigneron

Mainz. Dem einen wird das Herz schwer, und dem anderen bricht die Abwehr auseinander: Einen Tag vor dem Bundesligaspiel bei Union Berlin hat der FSV Mainz 05 seinen ersten Leistungsträger in diesem Sommer verkauft. Für rund zehn Millionen Euro wechselt Ridle Baku zum VfL Wolfsburg, wo er einen Vertrag bis Mitte 2025 unterschrieben hat.

Der am Montag zum Cheftrainer beförderte Jan-Moritz Lichte bedauert diesen Schritt einerseits: „Als Trainer wünschst du dir die bestmögliche Qualität. Es ist nicht mein Wunsch, dass ein Stammspieler den Verein verlässt.“ Andererseits bringt er nicht nur Verständnis für solche Verkäufe auf, sondern erachtet sie sogar für notwendig. „In der Betrachtung dessen, was seit Corona passiert ist, gibt es wichtigere Dinge, als jeden Spieler auf Teufel komm raus zu halten und damit vielleicht den Verein zu gefährden.“

Fakt ist, dass die 05er solche Transfers brauchen, wollen sie die coronabedingten Einnahmeverluste auffangen. Und Sportvorstand Rouven Schröder betont, er müsse einen weiteren gesetzten Spieler abgeben, gerne auch für ein paar Euro mehr, „damit wir als Eins-zu-eins-Ersatz einen Stammspieler eines anderen Klubs auslösen können“.

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Herzblut und Ehrgeiz

Ob Schröder den 22 Jahre alten Baku, der seit der U9 alle Nachwuchsmannschaften am Bruchweg durchlaufen hat, der sich über die U23 zu den Profis kämpfte, der es zum U-21-Nationalspieler brachte, auch freigegeben hätte, wäre bereits ein anderer Toptransfer über die Bühne gegangen? „Eine spannende Frage“, sagt er. Einerseits sei Baku für den Klub als „Meenzer Bub“ ein besonderer Spieler und mit viel Herzblut bei der Sache, andererseits habe er aber auch immer seine persönlichen Ziele und seine Karriere im Blick gehabt.

In der Tat ist Bakus Ehrgeiz, sich sportlich und wirtschaftlich zu verbessern, nicht über Nacht entstanden. Schon vor einem Jahr hatte er versucht, einen Wechsel zu forcieren, weil daraus nichts wurde, trennte er sich von seinem Berater. Jetzt habe er „sehr explizit“ darauf gedrängt, den nächsten Schritt zu gehen, sagt Schröder. „Man hat gespürt, dass die Situation ihn im Kopf nicht freier machte“ – eine nette Umschreibung der Leistungen des Defensivmannes bei den Niederlagen in Leipzig und gegen den VfB Stuttgart. „Die Entwicklung war hintenraus nicht mehr aufzuhalten.“ Also hat sich Ridle Baku mittels einer Presseklärung seines Heimatvereins „mit großer Vorfreude und dennoch schweren Herzens“ verabschiedet.

Nur personelle oder auch strukturelle Veränderung?

Für Jan-Moritz Lichte ist der Abgang des Außenverteidigers zum jetzigen Zeitpunkt besonders ungünstig, da in Berlin auch Moussa Niakhaté fehlen wird; der Innenverteidiger ist nach der Gelb-Roten Karte gegen den VfB Stuttgart gesperrt. Lichte ließ bei der digitalen Pressekonferenz am Donnerstag offen, inwieweit er darauf reagieren will. Denkbar ist, die entstandenen Lücken nur mit anderen Personen zu füllen.

Statt Baku käme beispielsweise Phillipp Mwene infrage („Wenn er auf dem Platz stand, hat er immer seine Leistung abgerufen“), im Zentrum dürfte Alexander Hack erste Wahl sein. Daneben brachte der Trainer auch einen Systemwechsel hin zu einer Dreier-/Fünferkette ins Spiel, um die Abwehr mittels eines Innenverteidigertrios zu stabilisieren. Die gewohnte Struktur aufzugeben und gleich drei neue Leute zu bringen, wäre allerdings nicht ohne Risiko.

Viel Zeit für die Vorbereitung aufs Union-Spiel, in dem die Mainzer an beiden Enden des Feldes mit ehemaligen 05ern konfrontiert werden (die Stürmer mit Torwart Loris Karius, die Hintermannschaft mit Anthony Ujah und Taiwo Awoniyi), blieb dem 40-Jährigen nicht. Lediglich viermal scharte er seine Leute auf dem Trainingsplatz um sich, und der ersten Ansprache, in der er seine Erwartungen formulierte, folgten „ein, zwei neue Übungsformen für die Defensive“. Schließlich müsse es in allererster Linie gelingen, weniger Gegentore zu kassieren. „Diese Übungen passen etwas genauer zu meinen Vorstellungen“, führte er aus. „Ich sage nicht, dass es besser ist als vorher, aber es ist anders.“

Wie gelingt der Rollentausch?

Spannend zu beobachten wird sein, wie Lichte nach dreieinhalb Jahren als Kotrainer der Rollentausch gelingt, wie die Spieler seine Ideen umsetzen und wie sie den neuen ersten Mann akzeptieren. „Ich bin ein ganz netter Kerl, mit mir kann man gut umgehen“, umschreibt er sich selbst. Das distanzierte Verhältnis des Cheftrainers zum Team, wie es sein Vorgänger Achim Beierlorzer pflegte, dürfte der Vergangenheit angehören. Sein Eindruck nach den ersten Reaktionen der Profis: „Sie haben kein Problem damit, dass ich jetzt derjenige bin, der die Ansprache hält und die Kritik in ungewohnter Lautstärke vornimmt.“

Nicht unerwähnt lässt Jan-Moritz Lichte, dass er seine Kicker in der Pflicht sieht. „Die Mannschaft hat sich selbst zuzuschreiben, dass sie jetzt als schwierig gilt“, sagt er. Den ungeliebten Beierlorzer, von dem das Team sich auch in taktischen Fragen alleingelassen fühlte, hat es mehr oder weniger weggestreikt – jetzt muss es zeigen, dass es auch anders kann.

 

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