Sonderschichten tragen Früchte
Freiburg. Der eingesprungene Tritt gegen die Eckfahne durfte nicht fehlen. Den hat Jean-Philippe Mateta quasi zu seinem zweiten Markenzeichen gemacht, das allerdings nur im Sog des ersten Markenzeichens zum Einsatz kommt – dem Toreschießen. Und in dieser Hinsicht hat der Stürmer des FSV Mainz 05 offensichtlich auf den Weg zurückgefunden, von dem er in der vorigen Saison nach mehrmonatiger Verletzungspause abgekommen war. Sein Hattrick bescherte dem bisherigen Bundesligaschlusslicht am Sonntag mit dem 3:1 beim SC Freiburg den ersten Saisonsieg und den Sprung auf den 15. Tabellenplatz. So gut standen die Mainzer seit dem ersten Spieltag nicht mehr da.
Ob es mit dem Gegner zusammenhing, dass Mateta sich in einer solchen Abschlusslaune präsentierte? Die Statistik spricht dafür. Gegen keinen anderen Klub hat der Franzose während seiner inzwischen knapp zweieinhalb Jahren in Deutschland häufiger getroffen: achtmal in vier Begegnungen, und im April 2019 war im beim 5:0-Heimsieg sein bislang einziger Dreierpack im 05-Trikot gelungen.
Er selbst nannte als Geheimnis seines Erfolgs einen anderen Faktor: seine Mitspieler. „Dank der Mannschaft konnte ich heute drei Tore machen.“ Tatsächlich waren dem ersten beziehungsweise dritten Tor die feinen Pässe von Leandro Barreiro und Jean-Paul Boëtius vorausgegangen, beim zweiten verdiente sich Robin Quaison den Scorerpunkt, dessen harten Distanzschuss Torwart Florian Müller nur prallen lassen konnte.
Ernsthafter Spaßvogel
Im Prinzip, sagt Jan-Moritz Lichte, habe „Schi-Pi“, wie sie den Stürmer am Bruchweg nennen, in Freiburg nicht anders gespielt als beim 2:2 gegen den FC Schalke. „Seine Laufwege, seine Dynamik waren ähnlich zu bewerten“, führt der Trainer aus. Der kleine, aber feine Unterschied war, „dass er vor zwei Wochen die entscheidenden Dinger nicht gemacht hat. Diesmal hat er die Chancen genutzt.“
Dass Mateta inzwischen bei sieben Saisontoren steht und damit hinter Robert Lewandowski und Erling Haaland gleichauf mit Lucas Alario und Andrej Kramaric an dritter Stelle der Bundesliga-Torjägerliste, kommt nicht von ungefähr. Der 23-Jährige, der von seinem ersten Tag in Mainz an als großer Spaßvogel gilt – und diese Rolle auch pflegt –, legt in der täglichen Arbeit eine Ernsthaftigkeit und einen Ehrgeiz an dem Tag, die im Widerspruch zu seinem locker-lustigen Image zu stehen scheinen. „Man sieht ihn auch an freien Tagen auf dem Platz, um an seinen Defiziten zu arbeiten“, berichtet Sportvorstand Rouven Schröder.
Das war nicht immer so. Im Sommer, als sich abzeichnete, dass aus seinem offensiv kommunizierten Wunsch nach einem Wechsel zu einem größeren Klub mangels Kaufinteressenten nichts werden würde, sei Mateta zwar nicht in ein Loch gefallen, sondern habe das Trainingsprogramm normal durchgezogen, sagt Lichte. „Wir hatten nicht das Gefühl, ihn extra antreiben zu müssen.“ Sonderschichten absolvierte der Angreifer allerdings noch nicht. Der Zeitpunkt, zu dem sich die Veränderung antrat, scheint Lichte beinahe unangenehm, wie die für ihn ungewohnt verquere Formulierung erahnen lässt. Er wolle das „nicht mit meiner Person in Verbindung bringen, aber seit dieser Veränderung in dieser Geschichte Trainerbereich weiß ich nicht, ob bei ihm etwas klick gemacht hat“.
Physiotherapeuten haben Vetorecht
Seither jedenfalls müssten die Verantwortlichen darauf achten, dass Mateta nicht zu viel mache. Der Franzose gehe am liebsten jeden Tag zwei- bis dreimal auf den Platz „und schießt und schießt und schießt“, erzählt Lichte. „Wir müssen ihn bremsen.“ Also ist der Chefcoach in Absprache mit den Athletiktrainern und dem Spieler dazu übergangen, eine eigene Wochenplanung für Mateta zu erarbeiten, die mehr Elemente als nur Schusstraining beinhalte.
Ballbehauptung, Bälle besser berechnen zu können, Verlängerungen mit dem Kopf: „Das sind Themen, in denen er schon große Fortschritte gemacht hat“, lobt Lichte. „Wir gucken, wie wir das alles in der Woche unterbringen können, ohne dass Schi-Pi am Wochenende die Frische fehlt.“ Das letzte Wort haben im Übrigen die Physiotherapeuten – sie können von ihrem Vetorecht Gebrauch machen, sollten sie eine Überbelastung des Spielers befürchten.
Sonderrechte im Spiel gegenüber anderen Stürmern genieße Mateta nicht. Allerdings sei seine Rolle anders definiert als beispielsweise bei Yoshinori Muto, einem seiner Vorgänger. „Ich warte von ihm nicht, dass er die gegnerischen Abwehrspieler im Spielaufbau ansprintet, wie Muto das gemacht hat“, sagt Lichte, das sei auch eine Frage der körperlichen Konstitution. Dafür müsse der Franzose sich mehr in der Defensive einbringen. Damit trage er zu mehr Balleroberungen bei, von denen er letztlich profitiere. Denn nach diesen Ballgewinnen soll es „kein Zögern und kein Warten“ geben, sondern schnell in die Tiefe gehen. „Und die Vehemenz, mit der er dann starten kann, macht es für jeden Gegenspieler schwer, ihn aufzuhalten.“
Auf dem Weg zum Saisonrekord
Auf eine Stufe mit Lewandowski und Haaland wolle er Mateta noch nicht stellen, wehrt Lichte ab. „Das wäre noch sehr hochgegriffen. Aber er ist dabei zu entdecken, was für ihn möglich ist, das umzusetzen, was wir besprochen haben. Und ich hoffe, dass er irgendwann in einer solchen Reihe mitmischen darf.“
Jean-Philippe Mateta, der den 05-Fans schon vor mehreren Wochen den Klassenverbleib versprochen hat, nennt als persönliches Saisonziel, mehr Tore zu schießen als in seiner ersten Mainzer Saison. Dafür müsste er noch achtmal treffen; eins mehr, und er löste André Schürrle und Shinji Okazaki als Mainzer Bundesligasaison-Rekordhalter ab. Die Chancen stehen gut. Auch weil, wie 05-Pressesprecherin Silke Bannick am Sonntag im Gespräch mit dem Stürmer anmerkte, es ja noch einmal gegen den SC Freiburg geht.
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