Lena ist immer da
Mainz. Hugo Hofmann ist, das kann man wohl so sagen, in Mainz eine Institution, sein Fitnesscenter Mainz-City in der Großen Langgasse 5 besteht seit 40 Jahren. Fünf Jahre jünger ist Tochter Lena – und die betreibt seit zwei Jahren in den Räumen ihre Taekwondo-Schule. Das ist auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches. Auf den zweiten und dritten aber sehr wohl. Denn zum einen sind Schulleiterinnen sehr rar, „wenn überhaupt, gibt es sie normalerweise nur neben einem Mann an der Spitze“, erzählt sie.
Zum anderen hat Hofmann einen Ansatz gewählt, der sich von der üblichen Ausrichtung der Schulen unterscheidet. Ihr Angebot richtet sich in erster Linie an Kinder, Jugendliche und Frauen. „Unter dem sportlichen Aspekt wird Taekwondo oft sehr gut unterrichtet“, sagt sie, „was ich vermisst habe, war der angemessene Umgang mit den Schülerinnen und Schülern, generell mit Menschen.“ Ihr sei es von Beginn an wichtig gewesen, einen Ort zu schaffen, „den Groß und Klein wie ein schützendes Zuhause empfinden“.
Dies scheint ihr gelungen zu sein, wie von den Kindern für sie gemalte Bilder und Aussagen von Jugendlichen und Schülerinnen mit Gewalterfahrung zeigen. Eine Jugendliche beispielsweise habe gesagt, während der Pandemie mit all ihren Einschränkungen habe ihr allein das regelmäßige Training, anfangs online, nach ersten Lockerungen im Hartenbergpark, ein Gefühl von Sicherheit vermittelt – „Lena war immer da“.
Gewaltprävention und Kinderrechte
Hofmanns Herangehensweise kommt nicht von ungefähr. Sie ist ausgebildete Erzieherin mit 15-jähriger Berufserfahrung und studiert in Koblenz Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten Gewaltprävention und Kinderrechte.
Auch wenn es sich beim traditionellen Taekwondo um eine alte koreanische Kriegsform handelt, deren Grundzüge dem japanischen Karate und chinesischen Kung Fu ähnelt und sich aus der gleichen geistigen Grundhaltung, dem Zen, entwickelt hat, spricht Hofmann nicht von Kampfsport, sondern von Kampfkunst. „Wir arbeiten überwiegend kontaktlos, wie es der Philosophie von Großmeister Kwon entspricht“, erläutert sie.
Ein Leitmotiv des Lehrers, der das Taekwondo 1965 nach Deutschland brachte, lautet: „Taekwondo ist nicht dazu da, den Körper durch kämpfen kaputtzumachen.“ Vielmehr gehe es darum, die eigene Persönlichkeit zu entfalten und über sich hinauszuwachsen, indem man Hürden überwindet, die zuvor unbezwingbar erschienen. Dafür steht das „Do“ – der Weg, die Methode.
Sich selbst verwirklichen
Ungeachtet dessen sei die Kampfkunst so vielfältig und umfangreich, „dass man sich ein Leben lang damit beschäftigen kann und niemals auslernt“, sagte Lena Hofmann. Sie reicht vom Schattenkampf, dem sogenannten Formenlauf, über Partnerübungen, Gymnastik, Selbstverteidigung (auch gegen Waffen) bis hin zum spektakulären Bruchtest mit Holzbrettern und Steinen. „Für mich persönlich bedeutet das traditionelle Taekwondo, eigene negative Gedanken zu besiegen, destruktive Handlungsmuster zu durchbrechen, belastende Gefühle und Erinnerungen annehmen zu lernen, sich und das, was man wirklich will, zu erkennen und den Mut zu haben, sich selbst zu verwirklichen.“
Diesen Mut hatte die heute 35-Jährige, als sie 2020 zwischen erstem und zweitem Lockdown ihre eigene Schule eröffnete. Die Gelegenheit war insofern günstig, als ihr Vater sich daranmachte, sein Fitnessstudio zu renovieren und umzugestalten. Dennoch war es ein Aufbruch ins Ungewisse, niemand konnte sagen, wann die Einrichtungen ihren Betrieb wieder würden aufnehmen können, wann die Normalität wieder Einzug halten werde.
Sanfter Übergang
Doch das neue Angebot zündete. Bevor im Herbst wieder alles dichtmachen musste, hatte Lena Hofmann 20 Schülerinnen und Schüler – inzwischen sind es 90, die in sechs Gruppen je zwei Trainingseinheiten absolvieren. Die Chefin findet selbst „unfassbar, wie schnell das angenommen wurde“ – und sie freut sich, dass die allermeisten Eltern ihre Kinder beziehungsweise sich mit ihren Zwei- bis Vierjährigen für die Eltern-Kind-Gruppe angemeldet hätten, „weil ich den pädagogischen Hintergrund habe. Wir veranstalten kein Bootcamp mit Symptombehandlung, sondern betrachten die Kinder ganzheitlich und versuchen, einen vertrauten Kontakt zu den Familien herzustellen“.
Das spielerische Bewegungsangebot für die Minigruppen gehe sanft in die strengere Unterrichtsform des traditionellen Taekwondo über. „Ähnlich wie in einer Kindertagesstätte können sich die Kinder schrittweise eingewöhnen“, sagt Hofmann. Nicht zuletzt an die geforderte Disziplin. Ohne die gehe es nicht, sagt die Schulleiterin. „Du kannst nicht Taekwondo lernen, wenn alle durcheinanderrennen.“
Rückmeldungen von Eltern der älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestätigten, dass die Arbeit erfolgreich sei. „Zum Beispiel berichte sie, dass ihre Kinder in der Schule besser geworden sind, dass sie selbstbewusster auftreten oder ihre Körperhaltung sich geändert hat.“
Prüfungen vor Publikum
Bei einem Tag der offenen Tür anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Fitnesscenters Mainz-City werden Lena Hofmann und ihr Team am Samstag ab 15 Uhr auf dem großen Parkplatz vor dem Gebäude mehrere Vorführungen darbieten. Mit einem besonderen Höhepunkt: Einige ihrer Schützlinge werden eine Prüfung ablegen, um den nächsten Gürtel zu erlangen. „Normalerweise finden diese Prüfungen nicht öffentlich vor Publikum statt“, sagt Hofmann, selbst Inhaberin des 2. Dan. „Es soll sich nur prüfen lassen, wer sich das unter diesen Umständen zutraut, aber ich biete das auch nur denjenigen an, von denen ich überzeugt bin, dass sie es schaffen.“
Der Erlös einer Tombola geht an den Elternkreis Downsyndrom Mainz. „Im Traditionellen Taekwondo gehört es dazu, dass man sich als Schulleiter sozial engagiert“, erläutert Hofmann. „Und da in einer unserer Gruppen ein Mädchen mit Downsyndrom trainiert, lag es nahe, die Spende an eine entsprechende Einrichtung zu geben.“