Aufrecht, selbstbewusst, selbstkritisch
Aus Marbella berichtet Peter H. Eisenhuth.
Marbella. Die Entwicklung, die Edimilson Fernandes in den vergangenen Monaten genommen hat, zeigt sich nicht nur auf dem Platz, sondern auch im Interview. Als der Schweizer, der vor dreieinhalb Jahren beim FSV Mainz 05 angeheuert hatte, seinerzeit erstmals in einer Presserunde saß, wirkte er verschüchtert, antwortete einsilbig und eher floskelhaft.
Jetzt, im Mannschaftshotel in Marbella, wo der rheinhessische Bundesligist sein Trainingslager absolviert, hinterlässt Fernandes in der abendlichen Gesprächsrunde einen ganz anderen Eindruck. Immer noch eher introvertiert, aber in aufrechter Haltung, selbstbewusst und gleichwohl selbstkritisch.
Das Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. Wenn es im vorigen Sommer um Fernandes‘ fußballerische Zukunft ging, schien nur eines klar: In Mainz hatte er keine. Nach zwei Spielzeiten, in denen der zuvor bei West Ham United in der Premier League und dem AC Florenz in der Serie A aktive Mittelfeldspieler weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben war, blieb der erhoffte Aufschwung während einer je halbjährigen Ausleihe nach Bielefeld und Bern aus. Nach seiner Rückkehr an den Bruchweg galt Fernandes als Verkaufskandidat Nummer eins.
Vertrag verlängert und zur WM
Dass sich kein Abnehmer fand, sollte sich als Glück für Spieler und Verein herausstellen. Denn der 26-Jährige entwickelte sich auf ungewohnter Position in der Dreierabwehrkette zur Stammkraft, schaffte es noch in den WM-Kader der Schweizer Nationalmannschaft („Das war eine Überraschung, ich war ja von der Bildfläche verschwunden“), und statt in Mainz ausgemustert zu werden, erhielt er das Angebot, seinen Kontrakt bis 2026 zu verlängern.
Echte Vertragsverhandlungen gab es nicht. „Das war keine große Sache“, sagt er, „ich saß mit dem Trainer und dem Manager im Büro, sie haben mir gesagt, dass sie mich halten wollen, und ich war froh darüber. Ich will im Verein wachsen, mich weiterentwickeln und freue mich deswegen, länger bleiben zu können.“
Bo Svensson freut sich ebenfalls. Über Fernandes‘ Verbleib und über dessen Aufschwung. „Er ist mehr Mann geworden“, sagt der Trainer, „er nimmt die Schultern zurück, und er weiß jetzt, welcher Spieler er ist und was er braucht.“ Damit geht einher, dass Fernandes selbst benennen kann, wo sein Fehler in seinen ersten Mainzer Jahren lag, als die Trainer Sandro Schwarz, Achim Beierlorzer und auch Svensson zwar oft sein Potenzial betonten, er es aber vor der Öffentlichkeit verborgen hielt. „Ich habe mich eigentlich nur auf mein Talent verlassen“, räumt er ein. „Das hat nicht gereicht.“
Sonderschichten mit Personal Trainer
Damals sei er unzufrieden mit seiner Spielzeit gewesen, inzwischen habe er den Grund verstanden. „Ich musste mehr tun.“ Der Umschwung nach dem Ausleihjahr begann im Kopf – „Ich wollte zurück nach Mainz und hatte mir vorgenommen, mich diesmal durchzusetzen“ – und ging über Sonderschichten vonstatten. „Ich wollte mehr und härter trainieren als alle anderen, um eine neue Chance zu erhalten. Ich habe auch mit einem Personal Trainer viel an meiner Physis gearbeitet, und der Trainer hat mein Engagement belohnt.“
Nur weil er ein guter Kicker sei, könne ein Spieler noch keine Forderungen stellen, sagt Svensson. „Er muss auch den Anspruch haben, entsprechend zu arbeiten.“ Genau dies sei bei Fernandes seit der Saisonvorbereitung im Sommer der Fall. „Ich nehme Edi als sehr konzentriert wahr, er ist kein Lautsprecher, aber hat eine sehr gute Ausstrahlung und eine sehr gute Trainingseinstellung.“
Für den Coach ist das umso wichtiger, als er Fernandes früh in der Saison zum Innenverteidiger umfunktionierte, der sich als unverzichtbar erwies. Die Baustelle in der Kette ist ohnehin groß genug. Maxim Leitsch, wegen körperlicher und mentaler Erschöpfung gut drei Monate komplett aus dem Trainingsbetrieb herausgenommen, ist zwar wieder eingestiegen, aber nach der langen Auszeit weit weg von Bundesligaeinsätzen. Niklas Tauer, der in dieser Saison allenfalls stagnierte und auf lediglich drei Einsätze kam, ist inzwischen für eineinhalb Jahre nach Schalke ausgeliehen.
Bell fällt im ersten Spiel aus
Stefan Bell arbeitet in Andalusien nach seinem Muskelfaserriss noch dosiert, allerdings nur, „um nichts zu überstürzen“, sagt Svensson. Der Routinier verfüge über genügend Erfahrung und Fitness, um mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs am 21. Januar auf dem Platz zu stehen. „Mit ihm haben wir die defensive Qualität, um für jeden Gegner unangenehm zu sein.“ Kleines Problem: Bell ist seit dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt unmittelbar vor der Winterpause mit fünf Gelben Karten belastet und für die Partie beim VfB Stuttgart gesperrt. Das beschert ihm vier Tage mehr Vorbereitung auf das Heimspiel gegen Borussia Dortmund, dem Trainer hingegen einen personellen Engpass.
Alexander Hack ist nach jetzigem Stand der einzige gelernte Innenverteidiger, der für das erste Spiel des Jahres zur Verfügung steht. Hinzu kommt der umgeschulte Fernandes – längst keine Notlösung mehr. „Ich sehe ihn nicht mehr im Mittelfeld, sondern in der Abwehr, auch wenn er sich noch in einem Lernprozess befindet“, sagt Svensson. Mit Ball müsse der Schweizer nicht viel verändern, mit seinem dynamischen Antritt und seiner sicheren Ballführung kann er gefährliche Vorstöße einleiten, seine weiten Diagonalpässe sind von hoher Qualität.
Fernandes‘ Verteidigungsverhalten sei „okay, aber es geht noch besser. Er muss die Abläufe noch mehr verinnerlichen, um konstanter zu werden und zum Beispiel die Zweikämpfe richtig zu führen“, sagt der Trainer. „Diese Situationen sind in der Kette anders als im Mittelfeld.“ Aber, daran zweifelt Svensson nicht, Fernandes wird auch diese Entwicklung nehmen.