Der Name verpflichtet
Nackenheim. Bislang konnte Koray Cakici noch nicht zeigen, dass er die einjährige Corona-Zwangspause gut überstanden hat und zudem stärker geworden ist. In der Bundesliga-Hinrunde stand der 23-jährige Ringer nur einmal in der Aufstellung des SV Alemannia Nackenheim, musste gegen die Red Devils Heilbronn aber keinen Schweiß vergießen, weil die Gäste den Greco-Kampf des 71-Kilo-Limits nicht besetzt hatten und er kampflos gewann.
Dass Cakici im Derby beim ASV Mainz 88 und zu Hause gegen Konkordia Neuss im Greco-Leichtgewicht auf die Matte ging, war eine Ausnahme. Zum einen wurden seine minus zwei Ringerpunkte benötigt, um unter dem Limit von 28 zu bleiben, zum anderen hat die Alemannia auf dieser Position eine Lücke. „Noch mal in der 66-Kilo-Klasse zu ringen, war nicht geplant, als ich im Sommer meinen Vertrag unterschrieben habe“, sagt er. „Ich bin noch etwas gewachsen und schwerer geworden.“
71 Kilo beträgt derzeit sein Normalgewicht, fünf Kilo abzutrainieren ist eine Tortur. „Danach war ich tot.“
Wie wenn ein Fußballer Handball spielt
Noch dazu ist Greco nicht seine Spezialdisziplin. Als kleiner Junge beherrschte Koray Cakici zwar auch die klassische Stilart, doch seit rund 15 Jahren trainiert er Freistil. „Im Stand kann ich mithalten“, beschreibt der 23-Jährige seine Fähigkeiten im Greco. „Aber spätestens am Boden fliegen wir Freistilspezialisten auf.“ Das sei etwa so, wie wenn ein Fußballer plötzlich Handball spielen müsse.
Gegen Dawid Ersetic vom ASV Mainz 88 beispielsweise hielt Cakici bis zu seiner Passivitätsverwarnung den Rückstand in Grenzen, gab aber dann die sechs Wertungspunkte ab, die seinem Gegner den technisch überlegenen Punktsieg bescherte. Auch gegen den Neusser Arslanbek Salimov verlor der Alemanne vorzeitig. Doch beide Male hatte sich Cakici ohne Murren in den Dienst der Mannschaft gestellt und die vorhersehbaren Niederlagen in Kauf genommen.
„Halbfinale war Korays Verdienst“
Schon in der Vergangenheit musste er stilartfremd antreten und Löcher im Greco stopfen. „Das rechne ich ihm sehr hoch an“, sagt Cengiz Cakici, sein Vater und Trainer. „Es war Korays Verdienst, dass wir vor zwei Jahren bis ins Halbfinale vorgedrungen sind.“ In der Saison 2019/20 nämlich trat der Filius bei seinen zwölf Einsätzen auf sechs verschiedenen Positionen an, neben den Freistilkämpfen im 66- und 71-Kilo-Limit übernahm er auch das Greco in der 66-, 71-, 75- und sogar 80-Kilo-Klasse. Er kämpfte jeweils dort, wo er für das Gesamtgefüge des Teams gebraucht wurde.
Das wiederholte sich zum Rückrundenauftakt dieser Saison gegen die 88er und das Team aus Neuss. „Die Kämpfe waren wichtig, weil wir den direkten Vergleich gegen die Mainzer gewinnen wollten“, sagt er. Nachdem das denkbar knapp gelungen war, mussten die Nackenheimer ihren minimalen Vorteil in der Begegnung mit der KSK Konkordia verteidigen, was beim 16:15 ebenfalls klappte – auch weil Cakici erneut das Opfer auf sich nahm.
Greco-Kämpfe sind nicht seine Bühne
Sein eigentliches Betätigungsfeld sieht er nach dem Stilartwechsel allerdings im 71-Kilo-Limit des Freistils. Dort will er beweisen, dass er dazugelernt hat und mehr ist als ein Zählkandidat. „Wegen Corona konnte ich mich im vorigen Jahr nicht zeigen. Auch die beiden Greco-Kämpfe dieser Saison waren noch nicht meine Bühne“, sagt er. Und nicht nur physisch, sondern auch mental habe er sich verbessert. „Ich hatte mir immer sehr viel Druck gemacht und war sehr nervös. Jetzt sehe ich das viel entspannter.“ Einen Schuss Lockerheit könne er aber noch vertragen.
Zum selbst auferlegten Druck trägt bei, dass er einer Ringerfamilie entstammt. Großvater Nouri begründete die Dynastie, er gehörte zu den Meistermannschaften des ASV Mainz 88 in den 70er Jahren. Seine Söhne Ahmet, Mehmet, Cengiz und zum Teil auch Kayhan, der den Fokus aber stärker auf den Fußball legte, führten die Tradition fort.
Ahmet Cakici, mit WM-Bronze dekoriert, ist heute Trainer in Mömbris, der zweimalige Deutsche Meister Cengiz lenkt nicht nur die Geschicke der Alemannen, er ist auch Landestrainer in Nordrhein-Westfalen. Korays älterer Bruder Kubilay geht ebenfalls für die Nackenheimer auf die Matte und ist Mitglied der des deutschen Nationalkaders.
Tradition fortführen
Koray Cakici empfindet die Zugehörigkeit zu diesem Kreis aktueller und ehemaliger herausragender Athleten als etwas zweischneidig. „Positiv ist, dass mir das Ringen quasi in die Wiege gelegt wurde. Als kleiner Junge habe ich die Kämpfe meines Vaters in Aalen vom Mattenrand verfolgt.“ Schon beim Zuschauen habe er viel gelernt. Schön sei zudem, dass er die Tradition seiner Familie aktiv fortführen könne. „Der Nachteil ist, dass dadurch der Druck etwas größer ist.“ Der Name verpflichtet.
Als Konkurrenten empfindet er seinen erfolgreicheren Bruder nicht. „Kubi ist sehr weit“, sagt Koray Cakici. „Für mich ist er die wichtigste Figur im Sport und im Privaten.“ Ständig tauschten sie sich über Techniken und Einstellung aus.
Allerdings gehen beide ihren Sport unter verschiedenen Voraussetzungen nach. Kubilay gehört der Sportfördergruppe der hessischen Polizei an und ist für das Training weitestgehend von beruflichen Pflichten freigestellt. Der jüngere Bruder studiert in Frankfurt Soziale Arbeit. „Ringen ist für mich Leidenschaft und bedeutet mir fast alles“, sagt Koray. „Aber ich muss auch schauen, dass ich mein Studium abschließe und einen guten Job bekomme.“
Als Außenseiter nach Heilbronn
Dennoch trainiert er außer am Wochenende täglich, versucht so häufig auf der Matte zu sein wie möglich, hinzu kommen lockere Läufe und Kraftübungen. „An manchen Tagen schalte ich einen Gang zurück. Das muss auch einmal sein.“ Den Großteil seiner Einheiten absolviert er in Aschaffenburg und Kleinostheim, wo er in seiner Gewichtsklasse die besseren Trainingspartner hat, in Nackenheim ist er seltener.
Dass ihn sein Vater in den Bundesligabegegnungen betreut und ihm die Anweisungen gibt, hat für Koray Cakici keine Bedeutung. „Egal, wer in der Ecke steht, ich muss auf mich selbst schauen.“ Auch den Druck habe er sich immer selbst gemacht, nicht der Vater.
Am Samstag sieht der 23-Jährige seine Mannschaft bei Tabellenführer Red Devils Heilbronn in der Außenseiterrolle. „Wir haben einen starken, aber auch dünnen Kader. Wenn eine Schlüsselperson wie Robin Ferdinand verletzt ist, wird es schon eng.“