Zwölf Kilo Muskeln sollen noch drauf
Mainz. Lange hatte Abdallh Karem auf seinen ersten Bundesligaeinsatz warten müssen und sich in der Zweiten Mannschaft des ASV Mainz 88 fitgehalten. Als Syrer hätte der Freistilringer in der höchsten Klasse einen Ausländerplatz belegt und in der Aufstellung fünf Ringerpunkte gekostet. Seit dieser Saison aber besitzt er den N-4-Status. Das heißt, er lebt seit mindestens vier Jahren in Deutschland, gehört ebenso lange dem Verein an, für den er startet und ist deshalb deutschen Ringern gleichgestellt. Und weil er dadurch nur noch mit einem Ringerpunkt zu Buche schlägt, war der Weg frei für sein Erstligadebüt.
Das gab der 27-Jährige im Heimkampf gegen den RC Düren-Merken stilartfremd im Greco-Schwergewicht Karem traf auf den Ex-88er Mantas Knystautas – ungleicher hätte das Duell nicht sein können. Denn der Dürener war nicht nur Olympiateilnehmer in Tokio und Dritter der U-23-WM von 2017, sondern ist auch Greco-Spezialist und obendrein rund zehn Kilo schwerer.
Aber der Mainzer Debütant überraschte: Nach Passivitätsverwarnungen musste er zwar viermal in die Bodenlage, ließ sich aber nur zweimal drehen und gestattete bei seiner 0:6-Niederlage Knystautas lediglich zwei Mannschaftspunkte. „Das hätte niemand für möglich gehalten“, sagt er. „Ich hatte selbst damit gerechnet, dass ich vier Punkte abgebe.“
Gegen Popp ins Verderben gerannt
Ebenso bravurös schlug er sich im Kampf bei den Wrestling Tigers Rhein-Nahe, wo er seine Niederlage gegen den bulgarischen WM-Teilnehmer Radoslav Georgiev mit 1:5 erneut sehr knapp hielt. Alle aus dem Mainzer Lager seien sehr zufrieden mit ihm gewesen.
In der Rückrunde darf Karem beweisen, was er im Freistil draufhat, allerdings gehört er mit seinen 103 Kilo immer noch zu den leichten Jungs im Schwergewicht. Das wurde ihm am vorigen Sonntag bei den Red Devils Heilbronn zum Verhängnis. Zwar trat diesmal sein Gegner stilartfremd an, doch Eduard Popp brachte rund 25 Kilo mehr auf die Waage.
Dem 88er gelangen in der ersten Runde zwei Beinangriffe zur 4:0-Führung, und bis zur Pause ließ er sich nur einmal von der Matte drängen. Doch angestachelt von den Zurufen, er solle weiter attackieren und erneut Beinangriffe setzen, rannte Karem ins Verderben. Im Nachhinein wurde ihm klar: „Wenn ich nichts mehr gemacht hätte, hätte ich gewonnen. Es war mein Fehler.“ Als er erneut nach den Beinen des Heilbronners griff, ließ Popp sich mit seinen fast 130 Kilo auf ihn fallen. Bei einer falschen Bewegung hätte Karem eine Verletzung gedroht. „Mein Gegner ist Profi“, erklärte er seine 4:7-Niederlage. „Er ist nicht nur schwer, sondern auch kräftig und besitzt viel Erfahrung.“
Fair gegen Ferdinand
Tags zuvor hatte der Syrer im Derby gegen den SV Alemannia Nackenheim seinen ersten Sieg errungen, und den auch noch mit technischer Überlegenheit. Allerdings war Robin Ferdinand durch einen Kreuzbandriss stark gehandicapt. „Ich habe schon in der ersten Minute gemerkt, dass Robin am Knie verletzt ist“, sagt Karem. „Ich wusste, dass ich sowieso gewinne, habe langsam gemacht und wollte ihm nicht wehtun.“
Alles andere wäre in seinen Augen unsportlich gewesen, zumal er Ferdinand persönlich kennt und bei einem Turnier in Holland auch schon mal gegen ihn angetreten war. Trotz gegenteiliger Zurufe aus seiner Ecke verzichtete der 88er auf Angriffe auf das verletzte Bein, hatte dennoch nach viereinhalb Minuten die 15 Wertungspunkte für einen vorzeitigen Sieg zusammen und wurde auch von den Nackenheimern für seine Fairness gelobt.
Vater war Nationalmannschaftsringer
Abdallh Karem entstammt einer syrischen Ringerfamilie, als Achtjähriger begann er mit seinem Sport. Sein Vater war ein Freund und Nationalmannschaftskollege von Khaled Alfaraj, der in Nackenheim wohnt und dessen Söhne für die Wrestling Tigers ringen. Auch Abdallh gehörte dem Nationalkader an, trainierte zweimal täglich und nahm alle zwei Monate an Trainingslagern in der Türkei, im Iran und Bulgarien teil.
Vor sechs Jahren zwang ihn der Bürgerkrieg in seiner Heimat zur Flucht. Über die Türkei und Griechenland erreichte er Deutschland, wo er zunächst in Kiedrich unterkam. Karem war klar, dass er auch in seiner neuen Heimat auf hohem Niveau ringen wollte. Ein Freund, ein Bulgare mit einem syrischen Elternteil, stellte den Kontakt zu den 88ern her, Behrouz Asadi, Leiter des Malteser-Migrationsbüros Rheinland-Pfalz/Hessen, leistete wichtige Unterstützerdienste, half die Sprachbarriere zu überwinden und fuhr Karem und seinen ein Jahr älteren Bruder Farouk zum Training, bis die Familie in Mainz eine Wohnung fand.
Im Trikot der 88er wurde Abdallh Karem mehrmals Rheinland-Pfalz-Meister und belegte bei den Turnieren in den Niederlanden wiederholt zweite Plätze. Zunächst startete er im Mittelgewicht, musste aber viel abkochen, um das 86-Kilo-Limit einzuhalten.
Bruder hat schon deutschen Pass
Wegen seiner Körpergröße wechselte er zwangsläufig ins Halbschwergewicht (98 Kilo), doch die Mainzer Verantwortlichen sahen seine Zukunft noch eine Klasse höher. „Der Trainer hat gesagt, ich soll ins Schwergewicht. Ich habe das akzeptiert.“ Seine derzeit 103 Kilo will Karem bis zur nächsten Saison auf 115 Kilo aufstocken, allerdings nicht durch reines Zunehmen, sondern durch Krafttraining und Muskelaufbau.
In der laufenden Runde rechnet der 27-Jährige mit weiteren Einsätze im Schwergewicht, feste Zusagen gibt es beim ASV aber nicht. „Wir werden nicht vorab informiert, sondern müssen immer bereit sein. Manchmal sagt der Trainer erst eine Minute vor dem Wiegen Bescheid, dass ich in der Mannschaft stehe.“
Während sein Bruder bereits eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt, weil er seinen Antrag früher eingereicht hatte, läuft Karem Abdallhs Asylverfahren noch. Wenn es abgeschlossen ist, will er im nächsten Jahr auch einen deutschen Pass beantragen. „Dann kann ich auch bei den Deutschen Meisterschaften ringen. Darauf bin ich gespannt.“