Bundesliga | Peter H. Eisenhuth | 06.01.2023

„Ich bin mir für nichts zu schade“

SCHÖNEN GRUSS AUS ANDALUS (4) | Aymen Barkok über seine ersten sechs Monate beim FSV Mainz 05, den Kampf um mehr Spielzeit, seine Pilgerreise nach Mekka und Medina und seinen Einstieg in die Gastronomie.
Aymen Barkok (r.) will es Bo Svensson schwermachen, ihn nicht aufzustellen – und der Trainer bescheinigt ihm, den Worten Taten folgen zu lassen.
Aymen Barkok (r.) will es Bo Svensson schwermachen, ihn nicht aufzustellen – und der Trainer bescheinigt ihm, den Worten Taten folgen zu lassen. | Frank Heinen / rscp-photo

Aus Marbella berichtet Peter H. Eisenhuth.

Anzeige

Marbella. Zu behaupten, Aymen Barkok habe beim FSV Mainz 05 nach einem halben Jahr den Durchbruch geschafft, wäre stark übertrieben. Der in Frankfurt geborene und aufgewachsene Deutsch-Marokkaner, der es bei der Eintracht auf 58 und zwischendurch für Fortuna Düsseldorf auf 15 Bundesligaeinsätze gebracht hatte, steht erst seit dem zehnten Spieltag regelmäßig auf dem Platz, wurde in der Liga sechs- und im DFB-Pokal zweimal eingewechselt – mit ansteigender Formkurve inklusive eines Treffers beim 3:0 Pokalsieg in Lübeck.

Im Trainingslager in Andalusien und in der weiteren Wintervorbereitung will der Neuzugang um mehr Einsätze kämpfen. Zuvor war der gläubige Muslim anderweitig unterwegs.

 

Herr Barkok, Sie haben die Winterpause etwa anders genutzt als üblich: Sie sind gepilgert.

Ja, aber die große Pilgerfahrt ist noch mal was anderes. Die findet zirka zwei Monate nach dem Ramadan statt, das war voriges Jahr im Juli.

Das ist der bekannte Hadsch.

Genau. Was ich jetzt gemacht habe, ist die Umra, die kleine Pilgerfahrt. Die ist jederzeit möglich, und dafür reicht es schon, nur einen Tag in Mekka zu sein. Der Hadsch dagegen ist für jeden gläubigen Moslem Pflicht, wenn man körperlich und finanziell dazu in der Lage ist. Mittlerweile kostet eine Pilgerfahrt schon 8000 bis 9000 Euro, die Preise sind seit Corona noch mal gestiegen. Für mich ging es jetzt darum, meinen Geist ein bisschen aufzufrischen.

War das eine kurzfristige Überlegung, oder hatten Sie die Reise schon länger geplant?

Das war relativ kurzfristig. Ich habe ein Visum beantragt, das innerhalb von fünf Minuten kam, und die Tickets habe ich drei, vier Tage gebucht, bevor ich dort war.

Wie lange dauerte Ihr Aufenthalt in Saudi-Arabien?

Ich war sechs Tage in Mekka und drei Tage in Medina.

Hat es was gebracht?

Hier in Deutschland war mit Weihnachten ja auch eine besinnliche Zeit, und ich wollte im Sinne meines Glaubens eine neue Erfahrung machen. Ich war das erste Mal dort, und es waren schöne Tage, die mir gutgetan haben.

Wie war Ihr Tagesablauf an den heiligen Stätten?

Das kann man sich wie intensive Meditation vorstellen: Du stehst auf, isst, betest und schläfst.

Die große Pilgerfahrt steht ebenfalls auf Ihrem Programm, oder liegt der Termin für Sie als Fußballprofi zu ungünstig?

Ich will das auf jeden Fall machen, dieses Jahr wäre theoretisch auch ein guter Zeitpunkt, weil der islamische Kalender elf Tage kürzer ist und der Pilgermonat immer weiter nach vorne rückt und dieses Jahr im Juni liegt, also in unserer Urlaubszeit. Aber für mich ist noch nicht der richtige Moment, denke ich.

Halten Sie sich während des Ramadans ans Fastengebot?

Seit ich 14 bin. Auch als ich bei der Eintracht war.

Das ist körperlich kein Problem? Gerade im Sommer, wenn die Tage lang sind und es heiß ist?

Als Jugendlicher war es schwieriger, aber mein Körper hat sich daran gewöhnt, weil ich es jedes Jahr mache. Deswegen ist das für mich kein Problem mehr.

Und irgendwann kommt man an den Punkt, an dem man sich sogar darauf freut?

Es gehört für mich zum Leben dazu. Das Fasten ist ein fester Bestandteil meines Glaubens.

Für körperlich hart arbeitende Muslime gibt es aber Ausnahmeregelungen…

…und bei Auswärtsspielen müsste ich nicht fasten…

…ab einer bestimmten Entfernung, etwa 80 Kilometern…

…genau, weil ich dann Reisender bin. Also habe ich während eines Ramadans eigentlich nur zwei Heimspiele, bei denen ich fasten müsste. In Frankfurt war ich auch nicht der Einzige: Almamy Touré, Evan Ndicka, damals Amin Younes haben alle den Ramadan durchgezogen.

Ihre neue Frisur ist Ergebnis der Pilgerreise…

…auch ein Symbol… (lacht)

…oder mehr eine Kampfansage für die nächsten Saisonspiele?

Beides. In Mekka kam es dazu, und es ist mal was Neues. Aber es war keine Pflicht, mir die Haare komplett abzurasieren.

 

Der 24-jährige technisch beschlagene Offensivspieler gehört zu jenen (neuen) Akteuren im Mainzer Kader, von denen Trainer Bo Svensson sagt, sie müssten ihre Ansprüche auf mehr Spielzeit („Ich fände es schlimm, wenn er diesen Anspruch nicht hätte“) mit Leistungen untermauern. Der Trainer bescheinigt Barkok allerdings auch: „Er lässt den Worten Taten folgen. Ich habe ihn selten so fit und präsent gesehen wie jetzt. Da muss er dranbleiben, er muss an seine Grenzen kommen.“

Ob jemand zum Einsatz komme, hänge immer vom Spieler selbst „in Verbindung mit dem Konkurrenzkampf ab. Wenn einer nicht spielt, hat es mit beidem was zu tun. Und wir haben im Mittelfeld einen guten Konkurrenzkampf.“ Den hat Barkok offensichtlich angenommen. „In meiner Wahrnehmung finde ich ihn einen Tick bissiger, als ich ihn in den ersten Monaten erlebt habe. Man sieht ihm deutlich an, dass er sich zeigen will.“

 

Die bisherigen 15 Saisonspiele sind nicht zu Ihrer Zufriedenheit verlaufen, zumindest lange Zeit nicht. Hintenraus wurde es besser. Wie bilanzieren Sie selbst Ihre ersten Mainzer Monate?

Perfekt beschrieben. Am Anfang war es nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das lag zum Teil daran, dass ich die Vorbereitungsspiele verpasst habe, ein paar Wochen nach einer Blinddarm-OP hat es wieder gezwickt. Und dann musste du erst mal in die Mannschaftsabläufe reinkommen, den Trainer kennenlernen, die Spielidee. Das hat anfangs nicht so gut geklappt, aber am Ende etwas besser, und ich hoffe, es geht so weiter.

Unterscheiden sich Abläufe und Spielidee sehr von dem, was Sie aus Frankfurt kennen?

Teilweise. Intensität und Spielidee sind relativ ähnlich, aber die Spielertypen sind andere. Um die Mitspieler kennenzulernen, ist die Vorbereitung wichtig. Die hat mir gefehlt, und für die Mannschaft lief es in den ersten drei Spielen mit sieben Punkten auch gut. Dann muss man sich als Neuzugang erst mal in die Mannschaft reinfinden.

Gab es den Moment, in dem sie unzufrieden mit Ihrer Rolle als Ersatzmann waren und das Gespräch mit dem Trainer gesucht haben?

In der Situation, in der ich gar keine Einsätze hatte, bin ich zum Trainer und habe gesagt, dass ich in der U23 ein Spiel machen will; Training und Spiel kann man von der Intensität her ja nicht miteinander vergleichen.

Das war schon außergewöhnlich, dass ein Profi den Wunsch äußert, der U23 nach Aalen nachzureisen, um ein Regionalligaspiel zu machen.

Ich bin mir für nichts zu schade. Das waren gute 90 Minuten, danach lief es auch mit Einsatzzeiten bei den Profis etwas besser.

Inklusive einem Tor im DFB-Pokalspiel beim VfB Lübeck. Eigentlich kam die Winterpause angesichts Ihrer steigenden Tendenz zur Unzeit, oder?

Ja, aber es passt schon. Ich gehe meinen Weg, gebe weiter Gas und mache es dem Trainer schwer, mich nicht aufzustellen.

Es ist ja auch ein interner Konkurrenzkampf in einem nicht ganz schlecht besetzten Mittelfeld. Was müssen Sie besser machen, und auf welcher Position sehen Sie sich am besten aufgehoben?

Auf der Achterposition. Und was ich besser machen könnte: Tore, Torvorlagen, die Aktionen im letzten Drittel zu Ende zu spielen. Und in dem wichtigen Aspekt des Spiels gegen den Ball kann ich, glaube ich, noch einen Tick aggressiver werden.

Ist das Spiel gegen den Ball…

…auf jeden Fall ein wichtiger Faktor.

Aber Sie sind ein Spieler, der erst mal offensiv denkt.

Das stimmt, aber ich kann auch gegen den Ball ganz gut arbeiten, ich laufe auch sehr viel.

Hat der Trainer bestimmte Erwartungen geäußert, was er von Ihnen während der Vorbereitung sehen will?

Nee, noch nicht, aber es gibt im Trainingslager sicher das eine oder andere Gespräch, und dann werde ich ihn fragen, was er von mir noch erwartet, um eine Sache zu haben, an der ich noch intensiver arbeiten kann. Ich werde mein Bestes geben, aber am Ende muss der Trainer entscheiden, wen er aufstellt.

Trainer sagen in solchen Situationen gerne, dass eigentlich die Spieler selbst mit ihren Leistungen entscheiden, ob sie spielen oder nicht.

Ja, aber letztlich macht er die Aufstellung. (lacht)

Sie sind in diesem Sommer mit „Adler-Worscht“ in die Gastronomie eingestiegen. Ist das ein Hobby oder schon nach dem Motto „früher schon an später denken“ ein zweites Standbein, das Sie sich aufbauen?

Beides. Mein kleiner Bruder kümmert sich neben seinem Studium um den Laden. Ich betrachte alles von außen. Aber vielleicht wird daraus später eine Kette, mal schauen.

Aber mit „Adler-Worscht“ brauchen Sie in Mainz nicht anzukommen.

Nee, dann nur „Worscht“.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

 

Alle Artikel von Fußball (Bundesliga)