Der Pokal hat keine eigenen Gesetze
Berlin. Zum ersten Mal in dieser Saison stellen sich die Verantwortlichen des FSV Mainz 05 nicht bedingungslos hinter ihren Trainer Bo Svensson. Statt der obligatorischen Jobgarantie sagte Sportdirektor Martin Schmidt nach der 0:3 (0:1)-Niederlage bei Hertha BSC: „So ein Spiel werden wir nicht schönreden. Wir werden uns zusammensetzen und das Spiel knallhart analysieren.“
Schmidt sagte in der Mixed Zone zwar auch, dass Svensson die Mannschaft noch erreiche, die Trainings- besser als die Spielleistungen seien und es ganz anders aussehe, würde ein Team gegen den Trainer spielen. Aber entscheidend war trotz allem dieser Satz: „Bo sitzt am Samstag auf der Bank, wenn wir die Analyse in die richtige Richtung bringen können.“ Ein hundertprozentiges Ja oder Nein könne man von ihm an diesem Abend nicht erwarten.
Als Svensson anschließend auf der Pressekonferenz gefragt wurde, was ihm das Gefühl gebe, noch der richtige Trainer für Mainz 05 zu sein, sagte er: „Das entscheiden sowieso andere.“ Er habe keine gute Leistung von seiner Mannschaft gesehen, insbesondere der Auftritt in der zweiten Halbzeit sei „kein gutes Signal“ gewesen. Eine maßlose Untertreibung. Der Däne, der seine Nicht-Rücktritts-Garantie vom Montag nicht wiederholte („Sich jetzt darüber zu unterhalten, hat wenig Sinn“), war Augenzeuge eines der schlechtesten Spiele seiner Amtszeit geworden.
Wir bringen Sie in Bewegung
Physiotherapie und Rehabilitationssport
www.physiotherapiecentrum.de
Hertha kommt besser ins Spiel
Begonnen hatte es mit drei Anfangselfelfdebütanten. Svensson setzte erstmals in dieser Saison von Beginn an auf Joshua Guilavogui, Aymen Barkok und die Viererkette. Im 4-4-2 nahm der französische Defensivspieler die rechte Position in der Innenverteidigung neben Maxim Leitsch ein, Barkok spielte im rechten Mittelfeld und brach nach zweiten Minuten erstmals bis in den Berliner Strafraum durch, wo er jedoch rasch vom Ball getrennt wurde.
In der neunten Minute kamen die 05er erstmals zu einem Abschluss; Anthony Cacis Versuch flog aber hoch über das Tor. Für die seit Wochen chronischen Schwierigkeiten, aus dem Spiel heraus gefährlich zu werden, war es bezeichnend, dass dem Volleyschuss ein weiter Einwurf Brajan Grudas vorausgegangen war. Hertha kam insgesamt besser in die Partie, besonders Fabian Reese auf der linken Offensivseite beschäftigte die Mainzer.
Erst lud Barkok ihn mit einem Fehlpass zum Sprint gen Grundlinie ein (10.), dann hatte Rechtsverteidiger Edimilson Fernandes dem Angreifer wenig entgegenzusetzen (16.). Die erste Hereingabe verpasste Marten Winkler knapp, mit der zweiten erreichte Reese den Kollegen. Robin Zentner hielt gut.
Barreiro hat Pech mit Lattentreffer
Der einzigen wirklich guten Mainzer Chance ging erneut ein kräftiger Einwurf Grudas voraus. Von der rechten Seite fand der 19-jährige nach einer knappen halben Stunde den Kopf von Karim Onisiwo, Hertha-Kapitän Toni Leistner klärte unzureichend, und Leandro Barreiro kam etwa acht Meter vor dem Berliner Tor zum Schuss, traf aber nur die Latte.
Insgesamt waren die Gastgeber in den ersten 45 Minuten das bessere zweier mäßiger Teams. Als Guilavogui, 33, kurz vor der Pause einen langen Ball wie ein B-Jugendlicher unterlief, hatte er Glück, dass Haris Tabakovic die präsentierte Chance mangelhaft ausspielte (42.). Als Leitsch seinem Nebenmann in Sachen Unvermögen bei der vorletzten Aktion der ersten Hälfte in nichts nachstand, konnte er sich hingegen nicht auf Fortuna verlassen: Der 25-jährige foulte Florian Niederlechner ungestüm, Reese erzielte vom Elfmeterpunkt die Berliner Führung. Sie war verdient.
„Die erste Halbzeit war angstgetrieben“, sagte Martin Schmidt nach dem Schlusspfiff. „Jeder Ballverlust wurde gefühlt gefährlich.“ Als Underdog fühle sich die Mannschaft aktuell wohler, als „wenn sie das Spiel machen muss“. Punkte holte sie freilich in der Liga auch gegen Bayer Leverkusen und Bayern München nicht.
Handelfmeter eine Fehlentscheidung
Richtig übel wurde es in Berlin in der zweiten Halbzeit. Mit dem gleichen Personal, mit der gleichen Viererkette – und mit einem Strafstoß für die Gastgeber begann sie so, wie die erste aufgehört hatte. Nach einem Berliner Einwurf sprang der Ball von Grudas Brust an dessen Oberarm, Matthias Jöllenbecks Elfmeterentscheidung hätte eine VAR-Überprüfung wohl nicht überstanden. (Aus dem Regelwerk: „Prallt der Ball vom Kopf, Fuß oder dem restlichen Körper eines Spielers ab und berührt dabei den Arm oder die Hand desselben Spielers oder eines Spielers in der Nähe, gilt das nicht als Handspiel“). Pech für die 05er: Den Videoassistenten gibt es in der zweiten Pokalrunde nicht. Tabakovic verwandelte zum 0:2 (50.).
Den Treffer bejubelten die Hertha-Fans etwa so lautstark, wie sie acht Minuten später Marco Richter bei dessen Einwechslung auspfiffen. Der 25-jährige war als Berliner Kapitän in die Saison gegangen und kurz vor Schließung des Transferfensters an den Bruchweg gewechselt. Am Freitag in Bochum nicht im Kader, kam er nun mit Ludovic Ajorque und Sepp van den Berg auf den Rasen, um zu retten, was nicht mehr zu retten war. „Die zweite Halbzeit war unter aller Kritik“ sagte Svensson. Es ging gar nichts mehr.
Fans stellen Unterstützung ein
Drei Minuten nach dem Dreifachwechsel erzielte Tabakovic das 0:3, weder bei der Flanke von Jonjoe Kenny noch beim Kopfball des Mittelstürmers leisteten die Rheinhessen Gegenwehr. Svensson sah von diesem Zeitpunkt an einigermaßen regungslos zu, wie seine Spieler Fehlpass an Ballverlust reihten.
Auch die mitgereisten Fans stellten ihre in den vergangenen Wochen bedingungslose Unterstützung ein – und gingen nach dem Spiel in einen wütenden Austausch mit den Spielern. „Kein Wunder“, sagte Kapitän Robin Zentner. „Ich glaube, wir sind da gefühlstechnisch sehr auf einer Ebene mit den Fans.“
Zu Anwar El Ghazi, der sich im Laufe des Tages vom vermeintlichen Einvernehmen mit dem 05-Vorstand distanziert hatte (→ El Ghazi düpiert die 05-Führung), wollte nach dem Spiel niemand etwas sagen. „Wir werden in den nächsten anderthalb, zwei Tagen dazu ein Statement abgeben“, kündigte Martin Schmidt an.