Peter H. Eisenhuth | 11.03.2022

„Lass mal auf Angriff gehen“

Groove statt Move: Jerome Gahr, von allen nur Jay genannt, hat umgesattelt. Früher dribbelte er als Basketballer des ASC Mainz die gegnerischen Abwehrreihen schwindlig. Heute macht er als J4YTWN Hip-Hop. An diesem Freitag veröffentlicht er seine erste Single, eine EP erscheint demnächst. SPORTAUSMAINZ.de sprach mit dem 28-Jährigen über seine sportliche Vergangenheit sowie seine musikalische Gegenwart und Zukunft.
J4YTWN aka Jerome Gahr:  „Scheiß mal auf ,wir machen es, wie es kommt‘.“
J4YTWN aka Jerome Gahr: „Scheiß mal auf ,wir machen es, wie es kommt‘.“ | Mandano
Jerome Gahr bei seinem Comeback im ASC-Trikot im Oktober 2016.
Jerome Gahr bei seinem Comeback im ASC-Trikot im Oktober 2016. | Eva Willwacher

Jay, als Basketballer dürftest Du dem einen oder anderen ein Begriff sein, als Musiker eher nicht. Wie kam’s zu dieser neuen Karriere?

Ich habe früher immer mal einen Youtube-Beat genommen und Texte dazu geschrieben. Wir hatten einmal als Teaser für ein Spiel des ASC ein Video gemacht, das beim Aufwärmen lief. Ich weiß nicht, ob Du Dich erinnerst…

…ich erinnere mich…

…das war so eine Aktion. Aber mehr war es noch nicht. Trotzdem hatte ich immer viel mit Musik zu tun, deshalb musste ich nicht komplett bei null anfangen, als ich mich zu Beginn der Coronapandemie richtig dahintergeklemmt habe. Es war nicht so, dass ich völlig ahnungslos an die Sache rangegangen wäre, die Affinität war immer da, auch durch meine Eltern.

Wie haben die Dich zur Musik gebracht?

Mein Vater war früher DJ, er hat mir automatisch von der ersten Sekunde an Musik eingeflößt. Und meine Mutter hat viel Musik gehört, in den 90er Jahren war das viel R’n’B. Im Prinzip hat sie genau die Sachen gehört, die mein Vater aufgelegt hat. 2019 war ich erstmals in einem Studio, weil ich einen geilen Text geschrieben hatte. Ein Bekannter von mir hat den Kontakt zum Studio hergestellt, wo er selbst schon eine Platte aufgenommen hatte. Ich bin dann hingegangen, habe 250 Euro bezahlt, der Produzent hat den Beat gebaut und ich habe meinen Text aufgenommen. Vom Sound war es hinterher aber leider nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.

Ich mit meinen laienhaften Ohren hätte gesagt, dass der Sound bei dieser Musik immer gleich klingt…

(lacht) Genau. Auch der Kollege im Studio hat mir gesagt, „das muss so und so sein, weil die Leute heut das und das hören wollen“. Aber genau so gehe ich an meine Musik nicht ran. Ich will nichts machen, was gerade funktioniert. Deshalb habe ich mich mit einem Bekannten getroffen, Oliver Grüner, der als Musiker unter „Ocoustic“ unterwegs ist, von dem ich zufällig ein Lied gehört hatte, das mich begeistert hat. Das war am 1. Mai 2020, und er war während des ersten Corona-Lockdowns auch mein einziger Kontakt. Wir wollten gemeinsam lernen, wie man Musik macht, wie man rüberbringt, was wir empfinden.

Ihr wart beide Anfänger?

Oli macht seit zehn Jahren Musik, und ich habe schon immer Texte geschrieben. In Sachen Produzieren waren wir allerdings beide Anfänger, aber das war ein Vorteil. Es ist immer schwer, jemandem, der sein Handwerk bereits beherrscht und der bestimmte Tendenzen bevorzugt, zu erklären, in welche Richtung man gehen möchte. Wir haben klein angefangen, wir haben uns ein-, zweimal die Woche getroffen, haben ein bisschen herumprobiert, daraus sind ein, zwei Tracks entstanden, dann ein dritter und ein vierter, und irgendwann haben wir gemerkt: Das hat was, lass uns mal eine EP daraus machen. So ist die Sache ganz organisch gewachsen – wir wussten anfangs ja selbst nicht, wohin das führen würde.

Wie professionell sollte das Ganze werden?

Wir wollten schon ein vernünftiges Projekt machen, aber nur aus Spaß, nur für uns, ohne Ambitionen. Je weiter wir in dem Prozess vorangekommen sind, desto mehr haben wir festgestellt, dass wir in unserem Umfeld Leute haben, die bestimmte Sachen besonders gut beherrschen und uns weiterhelfen können. In einem solchen Kollektiv bringt jeder seine Fähigkeiten ein, für die du andernfalls mehr Geld bezahlen müsstest, als dein Budget hergibt. Irgendwann haben wir uns gesagt „Scheiß mal auf ,wir machen es, wie es kommt‘, sondern ,lass mal auf Angriff gehen‘“.

Wie sah die Attacke aus? Habt ihr danach mehr Zeit investiert?

Es hat ganz gut gepasst, dass ich in der Zeit im Homeoffice und in Kurzarbeit war und für meinen Job als Projektmanager im Homeoffice nur halbtags arbeiten musste. Als es wieder losging mit festen Bürozeiten von 9 bis 18 Uhr, habe ich mir einen neuen Rhythmus angewöhnt, den ich bis heute beibehalte. Ich stehe um halb sechs auf und kann vor der Arbeit schon mal zweieinhalb Stunde was für mich machen.

Und wann machst Du Sport?

Ich teile es mir auf. Einen Morgen Musik, einen Morgen Sport. Aber ich habe mir meine Knie beim Basketball so zerfickt – äh, Entschuldigung…

…es hört ja niemand zu…

…meine Spielweise mit so krassen Richtungswechseln, so vielen Sprüngen und Landungen hat Spuren hinterlassen. Wir haben damals bis zu fünfmal die Woche trainiert und am Wochenende ein Spiel gehabt, und ich war zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt, als dass ich mich stabilisierend um meinen Körper gekümmert hätte. Wenn andere sich im Training gedehnt haben, habe ich irgendwelche Moves ausprobiert. Mit 23 habe ich dann ja abrupt aufgehört, Basketball zu spielen, auch wegen der Knie und weil das Feuer nicht mehr da war.

Aber Du hast wieder angefangen.

Genau. Am fünften Spieltag der nächsten Saison bin ich wieder eingestiegen. Ich hatte den erhofften Studienplatz an der Kölner Sporthochschule nicht gekriegt, war deswegen noch in Mainz und dachte mir, dass ich dann auch wieder spielen kann.

Untrainiert und leicht übergewichtig…

(lacht) …stimmt leider...

…aber mit einem überragenden Comeback.

Das war krass. Dienstags war ich zum ersten Mal wieder im Training, nach drei Minuten hatte ich keine Luft mehr. Samstags sollte ich spielen, aber nur kurz, hatte Alex (Heidbrink, der Trainer; Red.) gesagt. Tatsächlich waren es nachher 31 Minuten. Das Schlimmste war: Wenn ich angetreten bin, hatte ich das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Früher konnte ich einfach losrennen und war sofort im Tempo – jetzt, das weiß ich noch, habe ich im Training geschrien: „Wieso bin ich so langsam?“ Heute mache ich Yoga, weil das meinen Körper stabilisiert. Joggen hingegen ist schwierig, vom Abfedern habe ich danach zwei, drei Tage Knieschmerzen.

Basketball geht gar nicht mehr?

Ich hatte vor einiger Zeit ein Shooting mit Dirk Nowitzki als Model…

…bei Shooting dachte ich, ihr hättet Dreier geworfen…

…haben wir auch, das war ein Teil der Werbeaufnahmen. Ich hatte auch noch meine früheren ASC-Mitspieler Noë Trenz und Max Befort dazugeholt. Das war übertrieben krass, wir haben Drei-gegen-drei gespielt, ich bin reingezogen, habe einen Kick-out gemacht, und Nowitzki hat den Dreier geworfen. Dirk Nowitzki hat einen Assist von mir genommen und Dreier geworfen! Wie geil ist das denn? (lacht) Aber ich glaube, ich bin ein bisschen vom Thema abgekommen… Wo waren wir?

Bei Deiner Zeiteinteilung.

Stimmt. Jetzt, wo das Projekt nach und nach gewachsen und so in mich übergegangen ist, habe ich erstmals seit dem Basketball wieder eine Leidenschaft entwickelt. Darauf habe ich total Bock, dafür stehe ich gerne auf. Ich will jeden Tag besser werden, ich kann mich aufregen, wenn etwas nicht klappt, und die Arbeit im Kollektiv macht auch totalen Spaß. Mit den Leuten, die die Videos gedreht haben, das Logo entwickelt haben und so weiter. Die EP heißt aus gutem Grund „Homemade“: Weil wir alles selbst entwickelt und mit eigener Hand gemacht haben. Wenn wir uns treffen, um zu „arbeiten“ (schreibt die Gänsefüßchen mit beiden Händen in die Luft), ist das Chillen mit Freunden, das Abhängen, Spaß haben, jeder bringt ein paar Ideen ein. Es fühlt sich nicht wie Arbeit an, aber es steckt so viel dahinter, bis man ein Lied kreiert hat, das schön für die Ohren ist, bei dem auch das Video etwas hermacht, das aber auch inhaltlich passt. Es ist Arbeit – auch ohne Gänsefüßchen. Aber es setzt eine unglaubliche Energie frei.

Du schreibst Deine Texte – und wie ist eure Arbeitsteilung bei der Musik?

Bei manchen Beats hat Oli mehr Einfluss, bei anderen ich, und insgesamt ist es eine geile Symbiose. Anfangs war er total melodisch und ich rhythmisch, aber das hat sich immer mehr vermischt, inzwischen machen wir beide alles. Zwischendrin hatte ich Zeiten, in denen es nicht möglich war, Musik zu machen oder mich mit dem Thema zu befassen, und da habe ich direkt gemerkt, dass mir was fehlt. Da haben sich irgendwelche Sachen angestaut, ich habe mich nicht gut gefühlt, aber dann habe ich mich mit Oli getroffen und da kam ein fröhlicher Beat raus – das Stück heißt „Lucky“.

Singst Du deutsch oder englisch?

Die EP, die jetzt rauskommt, ist auf Deutsch, natürlich mit vielen englischen Wörtern; ich bin ja zweisprachig aufgewachsen. Wenn ich am Reimen bin, und mir fällt erst das englische Wort ein, nehme ich es.

Du nennst Dich J4YTWN…

…und damit stelle ich auch noch die Verbindung zum ASC, zum Basketball her.

Inwiefern?

Die 4 ersetzt das A in meinem Namen. Die 4 war immer meine Nummer im Basketball, schon als ich mit neun Jahren in Heidesheim angefangen hatte. Damals waren die Trikotnummern noch von 4 bis 15 festgelegt, die Größten haben die 15 gekriegt und die Kleinsten die 4. Und ich war immer viel kleiner als alle anderen… Die habe ich nie mehr abgegeben, sie hat sich durch mein Leben gezogen, und es ist geil, dass ich sie jetzt mit einbringen konnte. Für unsere kleine Gruppe „J4YTWN-Management“ haben wir auch ein Hoodie entworfen mit der 4 als Rückennummer.

Und das Logo auf der Brust sieht aus wie Hochhäuser…

…für „Town“ – und das obendrauf symbolisiert meine Frisur. Der Prozess war auch cool, sich zu überlegen, wie es aussehen soll, und dann jemanden zu haben, der es auch qualitativ so umsetzen kann, dass es auch auf einem Plakat nach was aussieht.

Frisurentechnisch bist Du natürlich jetzt für die nächsten Jahrzehnte festgelegt…

Ja, aber ich war noch nie in meinem Leben so glücklich mit meiner Frisur wie aktuell. Die würde ich gerne auch behalten. Und wenn sie ausfallen, wird das Logo eben abgeschnitten.

Du veröffentlichst Deine Stücke schrittweise?

Genau: → „Game Winner“, die erste Single am Freitag, auch mit Video, das haben wir in Frankfurt-Bornheim gedreht, wo ich zurzeit wohne. Ein zweites Stück kommt am 8. April, das Video dazu ist in Mainz entstanden. Und am 6. Mai kommt die komplette EP.

Was ist mit Vinyl?

Wird es auch geben. Vorbestellen kann man sie ab Mai, erscheinen wird die Platte Anfang Juli. Das dauert leider so lang, weil Vinyl gerade einen totalen Hype erlebt, durch den Rohstoffmangel verzögert es sich zusätzlich.

Die Musik ist für Dich inzwischen mehr als ein Hobby, oder?

Ja. Ich verdiene zwar kein Geld damit, sondern will erst mal ins Game reinkommen, eine gewisse Reichweite aufbauen. Ich will Musik aber nicht machen, um sagen zu können, dass ich Rapper bin oder weil Geld dabei herausspringt. Ich spüre ganz einfach, wie viel mir das gibt, aber auch, wie viel Zeit es in Anspruch nimmt. Als ich anfing, hatte ich keinen Plan, wie eine Produktionssoftware funktioniert, ich hatte auch keinen Hintergrund in Sachen Musiktheorie, das musste ich mir erst aneignen, und Oli hat ganz viel geholfen. Ich habe bei null angefangen, war noch ganz an der Oberfläche, aber ich habe Tag für Tag gearbeitet, Schritt für Schritt gemacht, zwei Jahre lang – und jetzt veröffentliche ich eine Schallplatte. Mein Wunsch ist es, diesen Aufwand durch die Musik finanzieren zu können, morgens aufzustehen, um Musik zu machen. Du musst aber auch daran glauben, dass es möglich ist, wenn du so viel Zeit und Grips und Energie da reinsteckst. Nicht nur ich, sondern auch alle anderen, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. Und um das alles nur als Hobby zu betreiben, müsste ich jetzt auch nicht Deine Zeit in Anspruch nehmen. Ich will auch meine Erfahrung mit anderen teilen, dass man alles erreichen kann, was man sich vornimmt, wenn man seinen Weg danach ausrichtet. Es ist so viel Potenzial in der Welt, gute Sachen zu machen, die einen auch selbst erfüllen. Es ist unfassbar, wie viel Leid angerichtet wird, wie viele Menschen sterben müssen, wie viele Familien auseinandergerissen werden, wie viel Hab und Gut vernichtet wird, weil ein Einzelner unzufrieden ist und mit sich selbst nicht klarkommt. Ich nutze die Musik, um mit mir selbst im Reinen zu sein, um meine Gefühle rauszulassen und mir selbst eine Ruhe zu geben. Wenn man das kann, kann man das auch auf andere übertragen.

Entsteht erst die Musik, dann der Text?

Ja, in der Regel machen wir erst die Musik, die mir ein bestimmtes Gefühl gibt. Und dann reicht schon mal ein Schlagwort für den Text aus. Manchmal schreibe ich den einfach runter, und wenn es nicht so krass um ein Storytelling geht, sondern um Wortspiele, schreibe ich mir eher einzelne Wörter auf, die ich einbringen will.

Ist Deine Musik in ein bestimmtes Genre einzuordnen?

Für die fünf Tracks auf der EP ist Hiphop das verbindende Element, aber die Stücke unterscheiden sich stark voneinander. Während der Produktion haben wir uns in verschiedene Richtungen ausprobiert. Ein Stück ist gesungen, das erste, das wir veröffentlichen, setzt auf Wortwitz. In einem anderen geht es darum, dass wir uns mit zu vielen falschen Dingen beschäftigen, die uns krankmachen. In einem Track geht es um Rassismus, ein anderer hat Partyvibes. Und es gibt eine Hommage an Kobe Bryant. Ich will eben nicht den Sound haben, der gerade funktioniert, sondern ich lege einfach los, und irgendwas kommt dabei heraus. Mal wird gesungen, mal hart gerappt.

Das Gespräch führte Peter H. Eisenhuth.

 

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