Freundschaft kennt keinen Neid
Aus dem Trainingslager des FSV Mainz 05
berichten Peter H. Eisenhuth und David Kulessa.
Schladming. Den Titel, der seit dem 23. April in den Lebensläufen von Brajan Gruda und Nelson Weiper steht, hat im Kader des FSV Mainz 05 nur ein weiterer Spieler vorzuweisen: Stefan Bell wurde 2009 Deutscher A-Junioren-Meister unter Trainer Thomas Tuchel, Gruda und Weiper gelang es in diesem Jahr unter Benjamin Hoffmann. Beide Male hieß der Endspielgegner Borussia Dortmund.
Nach einem solchen Erfolg aber führt der Weg nicht automatisch in den Profifußball, schon gar nicht in die Bundesliga. Bell, der heute auf 256 Erstligaspiele zurückblickt, musste seinerzeit einen zweieinhalbjährigen Weg über die U23 beziehungsweise Leihen zu den Zweitligisten TSV 1860 München und Eintracht Frankfurt gehen. Weiper (18) und Gruda (19) wollen sich ohne Umweg durchsetzen – „und sie gehen mit allen anderen in den Konkurrenzkampf und haben die Qualität, ihnen echte Konkurrenz zu machen“, sagt Bo Svensson.
Leihe ist kein Thema
Die beiden zum jetzigen Zeitpunkt zu verleihen, sei keine Überlegung, versichert der Cheftrainer. Zum einen, weil sie schon jetzt trotz des Verbesserungsbedarfs in vielen Dingen das Zeug hätten, in der Bundesliga Akzente zu setzen. Zum anderen, weil sie jünger und noch nicht so lange im Profikader seien, wie es andere Spieler waren, die vorübergehend andernorts spielten oder immer noch spielen. Wie Niklas Tauer (Schalke 04), Paul Nebel (Karlsruher SC) oder vorige Saison der jetzt vom Zweitligaabsteiger SV Sandhausen zurückgekehrte Merveille Papela.
„Die Situationen unterscheiden sich“, sagt der Trainer, der es für wichtig erachtet, die Entwicklung seiner Youngsters selbst steuern zu können, der aber auch die Bedeutung von Spielpraxis betont. „Man sieht zum Beispiel, was Tom Krauß leisten kann. Das kann er sicher auch, weil er schon zwei Jahre in Nürnberg hatte“, sagt Svensson über den Neuzugang. „Oder was bei Merveille passiert ist, wie er heute trainiert hat – weil er in einer Männerliga gespielt hat, in der es um alles geht.“
Um junge Spieler nach vorne zu bringen, könne eine Leihe immer mal zum Thema werden. „Aber es muss der beste Zeitpunkt sein.“
Neun Einsätze, zwei Tore
Seit einem Jahr trainieren die beiden Talente mit den Profis, Weipers erste Vorbereitung mit dem Bundesligakader verlief allerdings ausgesprochen unglücklich. Zum Auftakt des Trainingslagers in Grassau verletzte er sich am Sprunggelenk und musste zwei Monate pausieren. Nach der Winterpause legte er den Fokus eine Zeitlang stärker aufs anstehende Abitur, verpasste deshalb die Trainingslager auf Mallorca und in Marbella.
Gleichwohl kam er zu neun Bundesligaeinsätzen. Sein Debüt gab Weiper am achten Spieltag mit einer Einwechslung in der 86. Minute beim 1:2 in Freiburg, den nächsten Kurzeinsatz ließ Svensson ihm im Februar beim 3:1 gegen den FC Augsburg zuteilwerden. Als Beleg dafür, dass aller guten Dinge drei sind, erzielte der Stürmer beim nächsten Mal seinen ersten Treffer, das 4:0 gegen Borussia Mönchengladbach. Und in der ein bisschen verrückten Schlussphase gegen Werder Bremen (2:2), als die Tore erst von der 85. Minute an fielen, war er in der dritten Minute der Nachspielzeit mit dem 2:1 erfolgreich.
Mainzer, Fan und Balljunge
„In dem Moment hatte sich mein Traum erfüllt“, kommentiert er in einer Presserunde während des Trainingslagers in Schladming seine Torpremiere. „Ich bin in Mainz geboren, war schon als kleiner Junge als Fan im Stadion“ – und er wollte auch dorthin, wo die Spieler waren, denen er als Balljunge ein ums andere Mal die Kugel zuwarf. Dorthin, wo er inzwischen angekommen ist.
Brajan Gruda trainiert genauso lange bei den Profis wie Weiper, blickt aber erst auf zwei Einwechslungen in der 89. Minute zurück, gegen den BVB und bei der 1:3 Auswärtsniederlage gegen Union Berlin. Dass er neidisch auf seinen Mannschaftskameraden sein könnte, ist eine Frage, auf die er mit ungläubigem Staunen und einer klaren Antwort reagiert: „Wenn ich neidisch darauf wäre, dass mein Freund zwei Tore geschossen hat, wären wir keine Freunde.“
Nelson Weiper kam 2012 ins Nachwuchsleistungszentrum, Gruda sechs Jahre später. Zwar hätte von seinem Heimatverein, dem FC Speyer, schon einige Spielzeiten früher nach Mainz wechseln können, „aber damals hatten wir noch kein Auto, und es gab noch keinen Fahrdienst“, erzählt er. Stattdessen schloss sich der junge Pfälzer für drei Jahre dem Karlsruher SC an und vollzog den Schritt zu den 05ern erst 2018. Dank des inzwischen vorhandenen Fahrdienstes konnte er zu Hause wohnen bleiben.
Zwischen Speyer und Mainz gependelt
„Meine Mutter wollte nie, dass ich ins Internat gehe“, sagt er, „und es hat mir sehr gutgetan, bei meiner Familie zu sein.“ Eine Parallele zu Weiper („Auch ich war froh, dass ich zu Hause wohnen konnte“), bei dem sich als Mainzer die Frage nach einem Einzug ins Kolpinghaus gar nicht erst stellte. Gruda hat inzwischen eine Wohnung in der Landeshauptstadt, nutzt aber gerne die Gelegenheit, nach Speyer zu fahren.
Am Bruchweg (und dieser Tage in Schladming) geht es für ihn wie für seinen Kumpel darum, die Gelegenheit zu nutzen, sich in den Vordergrund zu arbeiten. „Das sind zwei gute Jungs mit Qualität, die sie auch heute im Training haben aufblitzen lassen“, sagte Bo Svensson am Sonntagmittag.
Weiper unter anderem mit einem Tor, in dessen Entstehung er einen langen Pass mitnahm, Torwart Daniel Batz überlief und einschob, was für Begeisterung auf der mit rund 200 Fans besetzten Tribüne sorgte. Gruda beispielsweise mit einem Dribbling auf dem Flügel, das einen Tunnel gegen Edimilson Fernandes einschloss.
Wo herrscht Verbesserungsbedarf?
„Jetzt müssen sie den nächsten Schritt machen“, formuliert Svensson als Erwartung. „Wir glauben an sie und müssen gucken, wie weit sie sind, wie wir sie einsetzen können.“ Athletisch müssten beide zulegen, ganz normal in diesem Alter, darüber hinaus wüssten die Spieler selbst, in welchen Themen sie besser werden müssen. Nachgefragt in der Presserunde, nennen Weiper und Gruda dieselben Aspekte wie der Trainer.
- Weiper (unter anderem 15 Länderspiele für die deutsche U17, 13 Tore, inzwischen schon U-21-Nationalspieler):
- „Bei mir ist es die Defensive, zum Beispiel muss ich nach Ballverlusten schneller nach hinten kommen.“
- Schalten Sie nach verlorenen Zweikämpfen zu schnell ab?
- „Das nicht, aber meine Reaktionszeit ist zu lang. In der U19 war es anders.“
- Weil Sie dort keine Bälle verloren haben?
- (lacht) „Weniger.“
- Gruda (unter anderem sieben Länderspiele für die deutsche U19, vier Tore):
- „Ich soll schneller abspielen oder zum Abschluss kommen. Auch am rechten Fuß kann man noch arbeiten, an der Defensive.“
- Sie suchen zu gerne noch einen Gegenspieler, den sie tunneln können?
- (lacht) „Ja, ich gehe lieber noch mal ins Dribbling. Manchmal wäre es besser, den Abschluss zu suchen.“
Youth League nur in Ausnahmefällen
Sollten die Nachwuchskicker in der Bundesliga vornehmlich auf der Bank sitzen, könnten sie freilich auch vereinsintern Minuten sammeln. Nicht mehr in der U19 („Dafür ist Brajan zu alt und Nelli zu gut“), aber gegebenenfalls in der U23. „Geplant ist allerdings nichts anderes als voller Kampf bei uns“, sagt Svensson, der auch wenig begeistert über eventuelle Einsätze Weipers in der europäischen Youth League spricht, an der die A-Junioren als amtierender Deutscher Meister teilnehmen dürfen.
„Es kommt darauf an, wann diese Spiele sind und wie sinnvoll es sowohl für seine Entwicklung als auch für uns als Profis ist“, sagt der Cheftrainer. „Er spielt nicht in der Youth League, nur damit wir dort eine bessere Mannschaft stellen, sondern wenn es für ihn und uns am meisten Sinn hat.“ (phe)