Sportlicher Erfolg geht nicht über alles
Für die Sache der Palästinenser einzutreten, die Siedlungspolitik Israels zu kritisieren, die Netanjahu-Regierung als kontraproduktiv für einen Friedensprozess zu betrachten, ist das eine. „I stand with Palestine“ in sozialen Netzwerken zu posten, wie Anwar El Ghazi es getan hat, nachdem die Hamas aus Gaza heraus ein Massaker unter der israelischen Zivilbevölkerung veranstaltet, Festivalbesucher regelrecht abgeschlachtet und mehr als 1300 Menschen ermordet hat, ist etwas anderes.
Da hätte es der Zugabe in Form des geteilten Slogans „From the river to the sea, Palestine will be free“ kaum noch bedurft, um den FSV Mainz 05 reagieren zu lassen. Des Zweizeilers, der letztlich nichts anderes bedeutet, als die Vernichtung des jüdischen Staates zu propagieren.
Um das zu sanktionieren, muss der Vereinsgründer kein jüdisches Opfer der Shoah gewesen sein, wie es im Mainzer Fall Eugen Salomon war. Dafür sollte Geschichtsbewusstsein ausreichen, das Wissen um die deutsche Verantwortung gegenüber Israel, die sich aus dem Holocaust ableitet.
Der Geschichte verpflichtet
Hanebüchen ist es, eine Assoziation herzustellen, wie es die Bild-„Zeitung“ mit ihrer Zeile getan hat: „Obwohl ein Klubgründer Jude war: Mainz-Profi schockt mit Hamas-Spruch“. Als ob ein Profi, der bei einem neuen Klub anheuert, sich vorab in dessen Historie einlesen würde. Hingegen ist der Verein seiner Geschichte verpflichtet. Die 05er sind dieser Verpflichtung gerecht geworden.
„El Ghazi hat in einer Art und Weise Position zum Konflikt im Nahen Osten bezogen, die für den Verein so nicht tolerierbar war“, schrieb der Klub am Dienstagabend in einer kurzen Pressemitteilung. Der Freistellung sein ein ausführliches Gespräch zwischen Vorstand und Spieler vorausgegangen. Das klingt, als hätten die Verantwortlichen dem Spieler die Gelegenheit eingeräumt, sich öffentlich für seine Posts zu entschuldigen und sich davon zu distanzieren, wozu dieser jedoch nicht oder nicht glaubwürdig bereit war.
Theoretische Option
Dabei berücksichtigt der Verein ganz offenbar, dass der Niederländer mit marokkanischen Wurzeln anders sozialisiert ist, dass er in einem Umfeld aufgewachsen sein könnte, in dem das Verhältnis zu Israel irgendwo zwischen Ablehnung und Hass bewegt. „Mainz 05 respektiert, dass es unterschiedliche Perspektiven auf den seit Jahrzehnten währenden, komplexen Nahost-Konflikt gibt“, heißt es in der Mitteilung. „Der Verein distanziert sich jedoch deutlich von den Inhalten des Posts, da dieser nicht mit den Werten unseres Klubs einhergeht.“
Eine kleine Hintertür bleibt, von der nicht anzunehmen ist, dass El Ghazi sie öffnen wird: Der Spieler ist (noch) nicht entlassen, sondern von Spiel- und Trainingsbetrieb freigestellt. Das lässt die Option einer Rückkehr offen, sollte El Ghazi sich ernsthaft von seinen bisherigen israelfeindlichen Äußerungen distanzieren – mehr als eine theoretische Option ist dies wohl nicht.
Sportlich können sich die 05-Verantwortlichen den Verzicht auf den 28-Jährigen eigentlich nicht leisten. Sie hatten El Ghazi im September, nach dem Ende der Transferperiode, verpflichtet. Nicht aus Jux und Dollerei oder weil sie dem vereinslosen Stürmer eine neue sportliche Heimat bieten wollten, sondern wegen des drängenden Handlungsbedarfs.
Für Svensson wird's nicht einfacher
Der Mangel im Mainzer Angriff war und ist wegen der verletzten Jonathan Burkardt und Nelson Weiper eklatant, zumal Karim Onisiwo und Jae-sung Lee seit Saisonbeginn auf der Suche nach ihrer Form sind. Anwar El Ghazi war ein Hoffnungsträger in Bo Svenssons Kader. Bei seinen bisherigen Kurzeinsätzen deutete der international erfahrene und bis Ende August für die PSV Eindhoven tätige Niederländer an, dass er sich zur echten Verstärkung entwickeln würde.
Ohne ihn durch die nächsten Monate zu gehen, macht die Arbeit des Trainers in ohnehin schwieriger Situation nicht einfacher.
Dass die Verantwortlichen sich dennoch dazu entschlossen haben, El Ghazi vor die Tür zu setzen, ist ein starkes Zeichen. Ein Zeichen dafür, dass das Kicken nicht vor der Moral kommt.